Anerkennung! Finnland macht es besser

Unsere in 2015 erschienene Studie „Kompetenzen anerkennen“ zeigt, dass Finnland mit Norwegen und Frankreich in Europa führend ist, wenn es um Good Practices der kompetenzbasierten Qualifikation geht. Mein Kollege Gunvald Herdin und ich machten uns deshalb nach Helsinki auf, um vor Ort mit Experten zu diskutieren und zu erleben, was Deutschland noch lernen kann.

 

Was unterscheidet Finnland und Deutschland?

Deutschland hat 7 Mio. Geringqualifizierte, also Menschen, die keinen formalen Berufsabschluss haben. Die meisten davon arbeiten in an- oder ungelernten Tätigkeiten, befinden sich oftmals in prekären Beschäftigungssituationen oder sind arbeitssuchend. 7 Mio. das sind rund 1,5 Mio. mehr, als Finnland insgesamt an Einwohnern hat. Die Arbeitslosenquote in Deutschland liegt deutlich unter der finnischen. In Deutschland sinkt sie in den letzten Jahren, in Finnland steigt sie vorrangig aufgrund der Abhängigkeiten zu Russland. Für Deutschland bedeutet es, dass Arbeitskräfte mit den jeweiligen Kompetenzen gesucht sind. In Finnland haben es die Menschen schwerer, Arbeit zu finden. Umso wichtiger für sie, dass sie sich weiter qualifizieren und nachweisen können, was sie gelernt haben – auf formalen Wege wie auch informell oder non-formal. Das unterstützt der finnische Staat. Die kompetenzbasierte Qualifikation gibt es in Finnland seit 1995 und ist zu einem Erfolgsfaktor geworden, wenn Arbeitslose sich bewerben. Denn durch sie können sie anerkennen lassen und belegen, welche beruflich relevanten Kompetenzen sie mitbringen. Seit 2007 gibt es das standardisierte Verfahren „Personalisation“, das jedem das Recht auf einen individuellen Bildungs- und Prüfungsplan sichert. Was die Inanspruchnahme dieses Rechts bedeutet, haben wir in Espoo gelernt, einer Stadt in der Nähe von Helsinki, bekannt als Nokia-Hauptsitz.

 

Wie verwandeln Finnen ihr Können in einen Berufsabschluss?

„There are no dead-ends in Finish education system!“

Wesentlich erfolgreicher als Nokia ist in Espoo das Omnia-Bildungscenter, ein staatliches College, das mit 10.000 Schülern in der Berufsbildung und 40.000 Schülern in der non-formalen Erwachsenenbildung in 2013 sogar vom finnischen Bildungsministerium für die sehr gute Qualität der Ausbildung ausgezeichnet wurde. Dort hatten wir die Chance, mit den verschiedenen Beteiligten der kompetenzbasierten Qualifikation zu sprechen – von der Schulleitung über die Lehrer bis hin zu den Schülern. Zusätzlich trafen wir die zuständige Abteilungsleiterin des Bildungsministeriums.

Alles in allem leistet Finnland das, was die Studie verspricht: Ein standardisiertes Verfahren, einen Rechtsanspruch für jeden, gleichartige Zertifikate sowie deren breite Akzeptanz und eine weitest gehend staatliche Finanzierung.

Jahrelange Erfahrung und kontinuierliche Verbesserung hat Omnia als Vorzeige-College dorthin gebracht, wie es sich heute präsentiert. Einige Beispiele der Entwicklung:

  • Durchschnittlich dauert ein Erwachsenen-Ausbildungsgang in Finnland 2 Jahre – bei OMNIA bekommt man jetzt eine kompetenzbasierte Qualifikation in 1,5 Jahren, da sie gelernt haben, noch genauer hin zu schauen, was der „Schüler“ an Erfahrung mitbringt und darauf abgestimmt ein sehr individuelles Ausbildungsprogramm zusammenstellen. Recognition of prior Learning ist hier ein Schlüssel zum Erfolg.
  • Die Tests vor Beginn der Qualifizierung und die Prüfungen am Ende sind organisatorisch, inhaltlich und in den Ergebnissen besser geworden, da sie nicht mehr im College sondern an realen Arbeitsplätzen in den Unternehmen stattfinden.
  • Die Unternehmen beteiligen sich inzwischen sehr gerne an den Testverfahren, da sie es als „Pre-Recruiting“ erleben. Die Tests sind eine aussagekräftige, praktische Info-Quelle über potentielle neue Mitarbeiter.
  • Bei der Vorbereitung der einzelnen Einheiten der Ausbildungspläne sind die Lehrer dazu übergegangen, sehr eng zusammen zu arbeiten. Die Pläne sind straffer und Überschneidungen werden vermieden.

Omnia ist ein Teil des finnischen Schul- und Ausbildungssystems, was sich durch eine hohe Durchlässigkeit auszeichnet. Es gibt keine Sackgassen: egal, welchen Weg man formal oder informell genommen hat, man hat immer wieder die Möglichkeit die Kompetenzen zu verwerten und weiter zu lernen. Was das im Fall des Studentes Henry bedeutet, den wir an unserem letzten Tag trafen, beschreibe ich in Teil 2 des Berichts demnächst in diesem Blog, außerdem erhalten Sie weitere Praxisdetails zum System.

Die Studie „Wenn aus Kompetenzen berufliche Chancen werden – Wie europäische Nachbarn informelles und non-formales Lernen anerkennen und nutzen“ gibt es zum kostenlosen Download, darüberhinaus finden Sie hier den Country Report Finland  in englischer Sprache, diese Broschüre wird es demnächst auch auf Finnisch geben. Das finnische Bildungsministerium möchte die Inhalte auch im eigenen Land breiter zugänglich machen.

 



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