Berufsausbildung in einer Einwanderungsgesellschaft 4/5

Praxis gestalten – Berufsvorbereitende Maßnahmen

Eine ausreichende Sprachbeherrschung alleine wird nicht ausreichen, um Zuwanderer erfolgreich in den deutschen Arbeitsmarkt und somit in die Gesellschaft zu integrieren. Mindestens ebenso wichtig ist eine gründliche und nachhaltige Ausbildungsvorbereitung für die Geflüchteten. Dazu gehören eine flexible und gestaltungsoffene Berufsorientierung und Berufsberatung sowie Verfahren der Kompetenzfeststellung.

Was hat es damit auf sich?

Berufsvorbereitende Maßnahmen zielen auf die unter 25 Jährigen, die nicht unmittelbar nach der allgemeinbildenden Schule in eine Berufsausbildung einmünden konnten. Diese Maßnahmen dienen der persönlichen und fachlichen Förderung der Individuen und sollen ihre berufliche Eingliederung unterstützen. Gegenstand der Maßnahmen sind die folgenden wesentlichen Punkte:

  • Vermittlung von berufsfachlichem Wissen,
  • Sprachförderung,
  • Förderung beruflicher Grundfähigkeiten,
  • Entwicklung der persönlichen Stärken
  • Und Grundlagenqualifizierung in IT- und Medienkompetenz.

Je nach Konzept werden mehr oder minder große Maßnahmeteile in Betrieben als Praktikum durchgeführt. Deutschland verfügt bereits über ein differenziertes Übergangssystem, welches der Berufsvorbereitung zwischen Schulabgang und Ausbildungsaufnahme dienen soll. Die Maßnahmen in diesem Übergangsbereich werden von einem Netzwerk aus öffentlichen und privaten Bildungsträgern, überwiegend von den Ländern aber auch der Bundesagentur für Arbeit, getragen. Kritische Stimmen sind der Ansicht, dass für viele Jugendliche das Übergangssystem eine bloße Warteschleife darstellt, das sie nicht wirklich voranbringt, da hier kein verwertbarer Abschluss, wie bei einer Ausbildung oder im Studium, erworben werden. Ebenso fehle ein systematischer Anschluss mit Anrechnungsmöglichkeiten in einer anschließenden Ausbildung.

Junge Ausländer mündeten im Jahr 2015 mehr als doppelt so häufig in solche Übergangsmaßnahmen als deutsche Jugendliche (AGBB 2016). Jugendliche mit asiatischer oder afrikanischer Herkunft, die derzeit den Hauptanteil an Zuwanderern darstellen, durchlaufen sogar zu 60 bzw. 70% Maßnahmen des Übergangsystems (AGBB 2016).

Was gibt es bereits?

Mit dem Integrationsgesetz und der Verordnung zum Integrationsgesetz aus dem Jahr 2016 haben sich die Zugangsmöglichkeiten zur Ausbildungsförderung deutlich verbessert. Zuvor hatten selbst Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive keinen Zugang zu berufsvorbereitenden Maßnahmen. Gleiches galt auch für Geduldete. Inzwischen haben Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive bereits nach drei Monaten die Möglichkeit, diese Maßnahmen zu besuchen. Für Geduldete dauert es (nur noch) sechs Jahre bis ein Besuch möglich wird.

Zu den Angeboten der Bundesagentur für Arbeit im Übergangsbereich zählen vor allem die „Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme“ (BvB) und die „Einstiegsqualifizierung“ (EQ). Bei der BvB liegt der Fokus auf vorbereitenden Maßnahmen zur Ausbildungsaufnahme, die zu einem Großteil auf die berufsbezogene Sprachförderung ausgelegt sind und sich dadurch und durch weitere spezifische Unterstützungsformen von solchen für andere Zielgruppen unterscheiden. In der Regel dauern sie ein oder zwei Jahre, wobei im ersten Jahr bei den Geflüchteten hauptsächlich der Spracherwerb gefördert wird. Gegebenenfalls werden im zweiten Jahr dann neben der weiteren Sprachförderung auch berufsfachliche Inhalte vermittelt und Praktika in Betrieben angeboten. Die Maßnahmen werden in Zusammenarbeit mit Berufsschulen und Betrieben durchgeführt.

Die Einstiegsqualifizierung weist im Gegensatz zu der Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme einen höheren Praktikumsanteil auf. Bislang bestand die Vorgabe, dass 70 % der Maßnahmendauer im Betrieb absolviert werden müssen und nur 30 % in Bildungseinrichtungen. Diese Vorgabe wurde kürzlich von der Bundesagentur für Arbeit für Geflüchtete abgeändert, sodass nun unter der Voraussetzung bestimmter tarifvertraglicher Vereinbarungen der betriebliche Anteil auf 50% abgesenkt werden kann, wenn begleitende Sprachkurse durchgeführt werden. Ziel der Maßnahme ist es, ausbildungssuchenden Jugendlichen die Möglichkeit zu bieten, durch ein 6- bis 12-monatiges Langzeitpraktikum in einem Ausbildungsbetrieb den Ausbildungsberuf zu erproben und sich dabei zu bewähren. Parallel zur betrieblichen Arbeit ist der Unterricht an der Berufsschule obligatorisch. Falls der Praktikant und der Betrieb mit der Zusammenarbeit zufrieden sind, kann im Anschluss an das EQ ein Ausbildungsvertrag vereinbart werden. Durch das Langzeitpraktikum vermeidet der Betrieb ein unsicheres und aufwendiges Einstellungsverfahren, da der Arbeitgeber sich einen Überblick über die Kompetenzen des Praktikanten verschaffen konnte. In der jüngeren Vergangenheit kam es dadurch nicht selten zu einem erfolgreichen Übergang in eine Ausbildung.

Neben der Bundesagentur für Arbeit bemühen sich aber auch einige Bundesländer um die Bereitstellung von eigenen berufsvorbereitenden Maßnahmen, so bspw. Hamburg, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Bayern. Unabhängig von dem Aufenthaltsstatus der Geflüchteten bietet Hamburg mit der Maßnahme „AvM Dual“ ein ganztägiges duales Ausbildungsvorbereitungsangebot für neu zugewanderte Jugendliche zwischen 16 bis 18 Jahren an. Nach einer rund sechsmonatigen Einführungsphase, in der hauptsächlich das Erlernen der deutschen Sprache gefördert wird und die Vorbereitung auf den Lernort Betrieb im Vordergrund steht, lernen und arbeiten die Jugendlichen wöchentlich drei Tage in der Berufsschule und zwei Tage im Betrieb. Insgesamt dauert die Maßnahme zwei Jahre und die Jugendlichen können abschließend einen mittleren Bildungsabschluss erwerben. Im April 2016 nahmen mehr als 1.900 Jugendliche an 36 Hamburger Schulen in 121 Klassen an der Maßnahme teil.

In Berlin wiederrum haben sich etwa 20 große Unternehmen zur Maßnahme „Vocatium“ zusammengeschlossen. Sie bieten für junge Geflüchtete Praktika an und stellen dabei eine Begleitung durch Auszubildende bereit, die sich bereits in einer dualen Ausbildung befinden. In Berlin sollen zudem Geflüchtete über 16 Jahre zukünftig die Möglichkeit bekommen, im Rahmen der berufsqualifizierenden Lehrgänge in ihren Praktika von sprachaffiner Bildungsgangbegleitung zu profitieren.

Nordrhein-Westfalen bietet mit der Maßnahme „Internationale Förderklasse+“ Praktika in außerschulischen Lernorten an. In Kooperation mit der Bezirksregierung in Münster, dem Kreis Coesfeld, der Kreishandwerkerschaft und zwei Berufskollegs wurde ein Nachfolgeprojekt zum Ziel einer frühzeitigen Integration von Geflüchteten und Asylbewerbern in den Arbeitsmarkt ausgearbeitet. Bereits in der Vergangenheit wurden an Berufskollegs „Internationale Förderklassen“ für schulpflichtige Zuwanderer ohne ausreichende Deutschkenntnisse eingerichtet. Bei der Nachfolgemaßnahme sollen die Jugendlichen nun zielorientierter an eine Ausbildung in einem regionalen Betrieb oder eine weiterführende Schullaufbahn herangeführt werden.

Auch Bayern stellt eine eigenständige berufsvorbereitende Maßnahme bereit: Das Projekt „IdA Bayern Turbo“ bereitet rund 1.000 junge Asylbewerber, die eine hohe Bleibewahrscheinlichkeit haben und aufgrund ihrer guten Vorbildung für eine Ausbildung infrage kommen, auf eine Einstiegsqualifizierung oder auf eine Ausbildung vor. Ziel der Maßnahme ist es, diese Zielgruppe innerhalb von nur sechs Monaten in einer Ausbildung unterzubringen. Finanziert wird das Projekt durch Verbände der bayerischen Wirtschaft. Organisatorisch unterstützt wird es durch die Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit und dem bayrischen Sozialministerium.

Was ist noch zu tun?

Der Zugang zu berufsvorbereitenden Maßnahmen sollte nicht an die Bleibeperspektive von jungen Geflüchteten gebunden sein. Selbst wenn Jugendliche irgendwann in ihre Heimat zurückkehren sollten, können sie dort die hier im Rahmen einer Ausbildungsvorbereitung erworbenen Kompetenzen weiter nutzen.

Außerdem sollten die Maßnahmen im Übergangssystem insgesamt stärker auf die Inhalte einer Berufsausbildung ausgerichtet sein, um gezielter auf eine Ausbildung angerechnet und systematischer zertifiziert werden zu können.

Ebenfalls sollten Betriebe noch intensiver in berufsvorbereitende Maßnahmen miteinbezogen werden. Eine intensivere Mitwirkung von Betrieben würde bessere Übergangsquoten in eine Regelausbildung hervorbringen. Zuletzt sollte über eine Erhöhung der Altersgrenze nachgedacht werden. Eine Heraufsetzung würde mehr Geflüchteten die Chance auf Einmündung in eine betriebliche Ausbildung geben.

Quelle:
AGBB — Autorengemeinschaft Bildungsberichterstattung (2016): Nationaler Bildungsbericht 2016. Bielefeld: wbv.

 

Teil 3: Praxis gestalten – Kompetenzfeststellung und Profiling

Teil 2: Praxis gestalten – Berufsorientierung und Beratungsangebote

Teil 1: Praxis gestalten – Sprache fördern



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