Bildung und Bildungsberatung wirken – Ihr ganzer Nutzen zeigt sich jedoch zeitversetzt (2/8)

Menschen in verschiedenen Lebensphasen gut zu beraten, birgt auf vielfache Weise einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen. Doch gerade diese Vielfalt erschwert es, den Nutzen differenziert bestimmen zu können. Aufbauend auf der Motivationstheorie des amerikanischen Psychologen Abraham Maslow begründet sich Nutzen in einem Bedürfnis oder in einer Erwartung. Bedürfnisse reichen von der rein materiellen Ebene über die soziale bis hin zu individuellen Ebenen, wobei man heute über Maslow hinaus weiß, dass die Bedürfnisse nicht pyramidenartig aufsteigen, sondern komplex verknüpft sind über einzelne Ebenen hinweg.

Der Nutzen einer Beratung kann darin liegen, dass Menschen sich weiterbilden. Britische Ergebnisse aus einer repräsentativen, randomisierten Studie von John Killeen und Michael White zeigen für erwachsene Beratungsklienten eine viermal höhere Weiterbildungswahrscheinlichkeit (Killeen und White 2000). Ökonomen weisen mittlerweile auf sogenannte „wider benefits“ jenseits unmittelbarer ökonomischer Effekte hin, wie zum Beispiel Gesundheit und Zufriedenheit.

Während die Kosten von Beratung und Bildung sofort anfallen, zeigt sich ihr Nutzen in der Regel erst später. Das führt zu einer verzerrten Kosten-Nutzen-Wahrnehmung von Beratung und Bildung. Norbert Schanne und Antje Weyh haben für eine kommunale Bildungsberatung in Dresden aufgezeigt, dass sich nach circa zwei Jahren positive monetäre Effekte ergeben (Schanne und Weyh 2013). Es gilt das Kennedy-Bonmot zu Bildung also auch in abgewandelter Form für die Beratung: „Es gibt nur eines, was auf Dauer teurer ist als Beratung – keine Beratung!“

Bildungsberatung trägt grundsätzlich dazu bei, dass wir bessere berufliche Entscheidungen treffen (z. B. bei der Berufswahl). Dies beugt späteren – oft wesentlich höheren – Kosten durch Ausbildungsabbrüche oder die Wahl des falschen Berufs (bzw. Bildungsgangs) vor. Bildungsfernen und geringqualifizierten Menschen können u. a. die langfristig negativen Effekte ausbleibender Bildungsentscheidungen bewusst gemacht werden. Zudem arbeiten sie häufig in physisch anstrengenden Tätigkeiten, die nicht ein Leben lang ausgeübt werden können. Durch proaktive Umschulungen oder Nachqualifizierungen kann dann (z. B. im Fall einer Berufsunfähigkeit) gesellschaftlichen und individuellen Kosten vorgebeugt werden.

Ein weiteres und gerade aktuell sehr wichtiges Aufgabenfeld von Beratung ist es, Migrantinnen und Migranten mit den deutschen Bildungsstrukturen vertraut zu machen. Das geschieht z. B. in der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer des BAMF oder im Projekt der Bertelsmann-Stiftung „Potenzialanalyse in der Beratung von Migranten“. Unsere Bildungsstrukturen sind selbst für viele hier Geborene kaum verständlich – unter anderem weil sie oft nicht sachlogisch begründet, sondern historisch und politisch gewachsen sind.

Wirtschaftlicher Nutzen stellt sich gesellschaftlich und individuell u. a. durch ein höheres Einkommen oder ein niedrigeres Arbeitslosigkeitsrisiko ein. Metastudien der OECD (Killeen und Malcolm 2003) deuten zwar an, dass durch eine Beratung allein häufig kein signifikant höherer Stundenlohn erzielt wird, dafür haben Beratungsklienten aber eine zweimal höhere Wahrscheinlichkeit auf eine Vollzeitstelle. Der soziale Nutzen von Beratung liegt schließlich in einer höheren Arbeits- und Lebenszufriedenheit. Empirische Verlaufsstudien zeigen, dass Ratsuchende vor der Beratung überdurchschnittlich unzufrieden mit ihrer Arbeits- und Lebenssituation waren. In den Monaten und Jahren nach der Beratung gleicht sich ihre Zufriedenheit aber dem durchschnittlichen Maß in der Bevölkerung an. Insofern wirkt Bildungsberatung auch als Ventil bevor Unzufriedenheit zu anderen beruflichen oder privaten Konsequenzen führt.

Grundsätzlich treffen in der Beratung unterschiedliche individuelle Bedürfnisse und gesellschaftliche Bedarfe aufeinander. Auf der individuellen Ebene entsteht zunächst ein beratungsbezogenes Outcome. Die Beratenen sind im Erfolgsfall informiert. Gemäß dem sogenannten IOSM-Modell (Schröder und Schlögl 2014) sind sie informierter, orientierter, strukturierter und motivierter für anstehende Entscheidungen zu Arbeit, Beruf oder Bildung. Durch Beratung optimierte Entscheidungen können als Impacts zu besseren individuellen Entwicklungen führen, was die Beschäftigungsfähigkeit, Arbeitszufriedenheit oder gesellschaftliche Teilhabe betrifft.

Diese individuellen Impacts führen in ihrer Summe zu weiteren aggregierten Impacts – nun allerdings auf gesellschaftlicher und ökonomischer Ebene. Dazu zählen sinkende Arbeitslosenzahlen (mit entsprechend geringeren Sozialausgaben), produktivere Arbeitskräfte (was den Wirtschaftsstandort stärkt) und eine intensivere gesellschaftliche Teilhabe (was wiederum auch die Demokratie fördert).

Natürlich sind die verschiedenen Zusammenhänge zwischen Outcome und Impacts sehr komplex. Wie erwähnt, treten viele Effekte zeitverzögert auf und beeinflussen sich auch wechselseitig. Dass Beratung wirkt und dass positive Effekte überwiegen, ist durch Metastudien hinreichend belegt (Hooley 2014). Es lohnt sich also genau hinzuschauen und Beratungsleistungen nicht nur mit Blick auf einzelne Wirkungen – wie z. B. kurzfristige Arbeitsmarkteffekte – zu evaluieren.

Den vollständigen Text aus der Expertise „Bildungslotsen in der Risikogesellschaft“ von Prof. Dr. Bernd Käpplinger finden Sie hier

Beitragsreihe von Prof. Dr. Bernd Käpplinger

  1. Quo Vadis Bildungsberatung – Auftakt zur Blogreihe von Prof. Dr. Bernd Käpplinger (1/8)
  2. Bildung und Bildungsberatung wirken – Ihr ganzer Nutzen zeigt sich jedoch zeitversetzt (2/8)
  3. Beratung nicht mit Erwartungen und Vorgaben überfrachten (3/8)
  4. Erste Herausforderung: Verlässliche und qualitätsvolle Angebotsstruktur und Stabile Finanzierung sichern! (4/8)
  5. Zweite Herausforderung: Beratung 2.0 – Hybride Beratungsformen forcieren! (5/8)
  6. Dritte Herausforderung: Professionelle Institutionen und qualifizierte Berater – Qualitätssicherung in der Bildungsberatung ausbauen! (6/8)
  7. Vierte Herausforderung: Ein „Haus für Beratung zu Bildung, Beruf und Beschäftigung“ in jeder Kommune – Neue Wege in der Beratungslandschaft gehen! (7/8)
  8. Fünfte Herausforderung: Vom Stigma zur Normalität – Alle immer wieder neu erreichen wollen (8/8)


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