Der Koch, der Lehrer, sein College und ein Anerkennungssystem

Wie man kompetenzbasiert in Finnland die Ausbildung verkürzen kann!

Am letzten Tag unserer Finnland-Exkursion lernten wir Henry (28) kennen. Henry stellte sich uns als Student vor, der am Omnia-College eine Ausbildung zum Koch absolviert. Sein Weg zum College führte über jahrelange Anlerntätigkeiten im Restaurantfach. Seine Karriere begann er in einer Bar, in der er dafür zuständig war, die Tische abzuräumen und Gläser zu spülen. Irgendwann war er dann hinter dem Tresen, wechselte in verschiedene Restaurants, in denen er sich von einer normalen Servicekraft zum Restaurantmanager entwickelte – alles ohne formale Bildung, ohne Prüfungen. „Restaurantmanager“ klingt nach einer verantwortungsvollen Position, was es für ihn und seine Arbeitgeber auch war. Allerdings wurde er geringer entlohnt als seine Kolleginnen und Kollegen, die einen formalen Abschluss vorweisen können. Ebenso wäre er relativ schnell kündbar gewesen. Denn in Finnland gewinnt man durch einen formalen Abschluss Arbeitsplatzsicherheit und kann im Zweifel nicht so schnell entlassen werden wie jemand, der keine Ausbildung hat. Zwei Gründe für Henry, bei Omnia zu starten. Ein dritter und für ihn genauso wichtig: er hatte seine Liebe zum Kochen entdeckt.

Es war für seine Entscheidung zur Ausbildung auch wichtig, dass er gemäß der finnischen Bildungsgesetzgebung die Chance hat, sich Teile seiner informell erworbenen Kompetenzen anerkennen zu lassen und damit seine Ausbildung zu verkürzen. Einiges von dem, was er in seinem „Gastronomen“-Leben bisher on-the-job gelernt hatte, demonstrierte er in einer kompetenzbasierten Prüfung. Zunächst hatte er mit seinem Lehrer einen Plan erarbeitet, mit dem er sich bei einem von drei Parteien besetzten Gremium um Prüfungszulassung bewarb. Das Gremium besteht in der Regel aus je einem Vertreter des Colleges, der Arbeitgeberseite und der Gewerkschaft.

Henry wurde ein Teil seiner informell erworbenen Kompetenzen anerkannt. Die Praxis hatte ihn schon Wissen im Bereich der Systemgastronomie gelehrt und Einkauf und Warenkunde waren auch keine Fremdwörter für ihn. So ist sein persönlicher Ausbildungsplan jetzt gestrafft, die Lernwege (Selbststudium, Unterricht am College, Praxisphasen …) sind auf seine Präferenzen abgestimmt und eng begleitet wird er von Wolfgang, ein aus der Schweiz stammender Koch-Lehrer, der seit 10 Jahren in Finnland lebt. Wir lernten auch Wolfgang kennen, der seine Rolle als Mentor und „Reisebegleiter“ sieht. Er ist an Henrys Seite und hat die „Landkarte“ auf dem Weg zur Abschlussprüfung im Blick. Es gibt keinen festen Klassenverband, da alle Inhalte und Methoden hoch individuell geplant sind. Für Henry gibt es ein besonderes Schmankerl: Im Moment müsste er auf Mallorca sein. Gemeinsam mit dem Auslandsbüro des Colleges hat er einen Auslandsaufenthalt geplant, den er durch ein Stipendium von Erasmus+ realisieren kann. Und bald kommt die Abschlussprüfung, bei der nur noch die Ausbildungsinhalte relevant sind, die er nicht ohnehin schon bei der Einstiegsprüfung als vorhanden nachgewiesen hat. Ich wünsche Henry alles Gute für die Prüfung. So zielorientiert und motiviert, wie er wirkte, wird er ein gutes Ergebnis erreichen.

Wie sieht die Anerkennung in Deutschland aus?

Und was wäre gewesen, wenn Henry in Deutschland versucht hätte, seine betrieblichen Erfahrungen in einen formalen Abschluss umzuwandeln? Da gibt es für Inländer die Externenprüfung, d.h. er hätte nachweisen müssen, dass er mindestens 4,5 Jahre einschlägige Berufserfahrung hat. Denn eine Zulassung bekommt nur derjenige, der das Eineinhalbfache der Ausbildungszeit in dem Beruf tätig war, in dem er die Prüfung ablegen möchte. Die hat Henry, aber nur für das Berufsbild des Restaurantfachmanns. Er wollte aber Koch werden. In Deutschland gibt es kein Gesetz, dass es aufgrund von Berufserfahrung ermöglicht, die Ausbildungszeit zu reduzieren. „Der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung empfiehlt, einschlägige berufliche Grundbildung, einschlägige Berufstätigkeit oder Arbeitserfahrung im Berufsfeld angemessen zu berücksichtigen. Das ist sehr allgemein formuliert und muss im Detail bei der zuständigen Stelle erfragt werden“.[1] Eine Personalisierung der Ausbildungsinhalte gem. der Vorerfahrung gibt es auch nicht. Ausbildungsordnung und berufsschulische Curricula sind hier starrer gefasst.

Als Ausländer könnte er durch eine Qualifikationsanalyse im Rahmen eines praktischen Nachweises seine Kompetenzen zeigen und anschließend die Gleichwertigkeit, bezogen auf einen deutschen Ausbildungsberuf, beantragen. Das wäre dann wahrscheinlich auch wieder der „Restaurantfachmann“ gewesen – also hätte es keine Anerkennung auf Teile der Ausbildung zum Koch gegeben.

In der Schule soll man nicht abgucken – aber vielleicht im (beruflichen) Bildungssystem? Finnland ist ein guter „Schüler“ (s. Anerkennung! Finnland macht es besser), bei dem sich abgucken lohnt!

Link zur Broschüre „Wenn aus Kompetenzen berufliche Chancen werden“

[1] https://www.azubiyo.de/ausbildung/ausbildungsverkuerzung/ (am 18.3.2016)



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