Was Hamburg besser kann als G20: Der Übergang in Ausbildung 2/2

Wie können junge Menschen mit Migrations- oder Fluchthintergrund erfolgreich in eine Berufsausbildung einmünden? Was ist zu tun, damit möglichst viele Schulabgänger nach der 10. Klasse eine individuelle Beratung und damit eine passende Anschlussperspektive erhalten? Wie gelingt es in Hamburg, verschiedene Institutionen zu vernetzen und Kompetenzen zu bündeln? Diese und viele weitere Fragen konnte das Projektteam „Chance Ausbildung“ der Bertelsmann Stiftung Mitte Juli bei einem Besuchstermin in Hamburg diskutieren. Vertreter des Hamburger Instituts für berufliche Bildung (HIBB) konnten uns hierbei viele interessante Einblicke in die Strukturen und Abläufe der Arbeit mit Jugendlichen geben, welche sich im Übergang von der Schule zur Berufswelt befinden. Das HIBB ist in Hamburg die zuständige Landesbehörde für die Weiterentwicklung der beruflichen Bildung und für die (Berufs-)Schulaufsicht. Im zweiten Teil dieser kleinen Serie geht es um die Arbeit der Hamburger Jugendberufsagentur (JBA), welche sich nach mittlerweile fünf Jahren im Hamburger (Aus-) Bildungsgeschehen fest etabliert hat. Was die JBA in Hamburg besonders macht und welche Vorteile sich daraus ergeben, ist Inhalt dieses Beitrags.

JBA – Die Idee 

Fragt man einen 16-jährigen Jugendlichen nach Abschluss der 10. Klasse, wie sich die Leistungsangebote eines Jobcenters von denen der Agentur für Arbeit unterscheiden und für welche Zwecke er oder sie ein Bezirksamt aufsuchen sollte, wird man im besten Fall in ein fragendes Gesicht blicken. Im schlechtesten Fall ist das Gespräch danach recht zügig beendet. Genau hier setzt die Idee der Jugendberufsagentur in Hamburg an: Es geht darum, dem Jugendlichen eine auf seine Lebenssituation zugeschnittene Beratung und Unterstützung zu ermöglichen, welche die institutionellen Grenzen unterschiedlicher Rechtskreise überschreitet. Dafür wurde mit der JBA an verschiedenen Standorten in Hamburg eine Institution geschaffen, welche unter ihrem Dach verschiedene – für Jugendliche relevante –  öffentliche Einrichtungen vereint: Die Agentur für Arbeit, das Jobcenter, das HIBB, das Bezirksamt sowie die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration. Für Jugendliche, die nach der Schule im Übergang zur Berufswelt stehen, gibt es damit eine Anlaufstelle, die passgenaue Angebote aus einer Hand bzw. in Abstimmung der verschiedenen Akteure bietet. Die Antwort auf die einleitende Frage könnte also vielmehr lauten: „Das musst du auch gar nicht im Detail wissen – geh einfach mal zur JBA!“

Beraten! Aber wie?

Im Rahmen unseres Besuchs konnten wir uns von der JBA Wandsbek einen Eindruck machen. Die auf die Jugendlichen abgestimmte Beratung beginnt hier schon im Eingangsbereich: Nach einer Klärung und Erfassung des Anliegens wird der Jugendliche direkt an den zuständigen Ansprechpartner weitergeleitet. Mögen es Fragen zur Vermittlung in Ausbildung bei der Agentur für Arbeit oder Fragen zur weiteren Schulbildung oder Berufsorientierung beim HIBB sein – die Mitarbeiter nehmen sich der Fragen wenn nötig auch über einen längeren Zeitraum an und können bei Bedarf Kollegen der anderen Rechtskreise in individuellen Fallbesprechungen hinzuziehen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Kurze Wege und Entscheidungen auf dem schnellen Dienstweg. Die Beratung erfolgt dabei bewusst niedrigschwellig (z.B. ohne vorherige Terminabsprache beim HIBB oder den bezirklichen Mitarbeiter/-innen) und kann auch außerhalb der JBA-Räumlichkeiten stattfinden. Damit soll auf die Jugendlichen aktiv zugegangen und auch solchen eine Rückkehr in die Regelangebote ermöglicht werden, die zurzeit ohne Beschäftigung oder Bildungsgang sind.

Die Regelangebote – keine Sackgassen, sondern Aufstiegswege

Ein wichtiger Baustein dieser Regelangebote bildet die Hamburger Ausbildungsgarantie. Sie beinhaltet für jeden Jugendlichen, der die zehnte Klasse abgeschlossen hat, die Möglichkeit auf ein erstes Ausbildungsjahr an einer Berufsschule in Kooperation mit einem Betrieb (Berufsqualifizierung). Danach wird der Übergang in eine reguläre Ausbildung angestrebt und sofern dies nicht gelingt, kann die Ausbildung trägergestützt zum Abschluss gebracht werden. Auch die Maßnahmen der Ausbildungsvorbereitung (AV Dual oder Produktionsschulen) sind nachrangig ausgestaltet, d. h. Priorität besitzt die Vermittlung in eine reguläre Ausbildung. Dies geschieht durchaus mit Erfolg, allerdings sieht man hier noch Luft nach oben. Im Vergleich zum Jahr 2010 konnte die Quote der Schulabgänger/-innen, die direkt in Ausbildung münden, im Jahr 2016 um 13,6% auf insgesamt 34,6% gesteigert werden. Mindestens genauso wichtig sind jedoch die Übergangsquoten aus den Regelangeboten, welche im Vorfeld einer Ausbildung liegen: stolze 85% der Jugendlichen gehen im Rahmen der Berufsqualifizierung nach dem ersten garantierten Ausbildungsjahr in reguläre, duale Ausbildung über. Immerhin 50% der Jugendlichen münden aus AV dual in eine Ausbildung ein. Diese Zahlen zeigen, dass die angebotenen Bildungsgänge keine Sackgassen sind, sondern tatsächlich Wege in qualifizierte Beschäftigung bieten.

Der Grundstein wird in der Schule gelegt

Die JBA ist jedoch nicht nur Kümmerer und Anlaufstelle für Jugendliche nach ihrem ersten Schulabschluss. Ihre Arbeit beginnt schon in der Schule mit einer verbindlichen und systematisch geregelten Berufs- und Studienorientierung (BOSO) an sämtlichen Stadtteilschulen in Hamburg. Im Idealfall führt dieses Engagement zu einer begründeten und/oder erfahrungsbasierten Berufswahlentscheidung, welche den Jugendlichen den Einstieg in die nachschulische Zeit erheblich erleichtert. Und auch wenn die Entscheidung nach der 10. Klasse noch unklar ist oder sich noch keine konkrete Anschlussperspektive gefunden hat, fallen die Jugendlichen nicht in den luftleeren Raum. Die JBA stellt sicher, dass der Verbleib der Jugendlichen nach Klasse 10 zu einhundert Prozent lückenlos bekannt ist. Abgesehen von der Notwendigkeit, die 11-jährige Schulpflicht in Hamburg umzusetzen, kann die JBA durch ein umfangreiches Datenmonitoring die Jugendlichen mit ihren Angeboten effektiv erreichen. Zudem können die Angebote in ihrem Umfang und der Ausrichtung immer wieder den Bedarfen bzw. der Anzahl der Bewerber/-innen angepasst werden.

Ausblick: Für Hamburg der richtige Weg, Transfer aber nicht einfach

Die JBA und die damit verbundene Reform des Übergangssystems in Hamburg haben sich seit ihrer Einführung mehr als bewährt, wie uns die HIBB-Vertreter/-innen Birgit Kruse und Matthias Quaeschning berichteten. Es konnten, wie beschrieben, messbare Verbesserungen sowie verbindliche Standards bei den Angeboten und der Datenerfassung erreicht werden. Die Jugendlichen finden nun ein engmaschiges Netz von Beratungsleistungen vor, welches sie schon in der Schule begleitet und ihnen verbindliche (Aus-) Bildungsangebote bietet. Die naheliegende Frage, warum ein solches Erfolgsmodell nicht flächendeckend zum Einsatz kommt, ist differenziert zu beantworten. Beide HIBB-Vertreter/-innen stellten die breite politische Unterstützung der Hamburger Bürgerschaft wie auch die gute Kooperation mit der Hamburger Wirtschaft als grundsätzliche Erfolgsfaktoren heraus. Es wurden personelle und räumliche Ressourcen geschaffen, welche den breit angelegten Ansatz der JBA erst ermöglichen. Dazu kommen die räumliche Nähe der beteiligten Akteure mit entsprechend kurzen Abstimmungsprozessen und die wirtschaftliche Stärke des Standorts Hamburg. Diese Bedingungen sind in Flächenländern sicherlich so nicht gegeben. Was jedoch nicht bedeutet, dass einige beispielhafte Elemente, wie die lückenlose Erfassung von Schulabgänger/-innen oder die fallbezogenen Abstimmungsrunden, nicht auch an anderen Standorten integriert werden können.

Teil 1: Was Hamburg besser kann als G20: Der Übergang in Ausbildung 1/2



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