Deutscher Weiterbildungsatlas: Potenzialausschöpfung – Was machen Regionen aus ihren Möglichkeiten?

Im letzten Blogbeitrag zum Deutschen Weiterbildungsatlas wurde die regionale Weiterbildungsteilnahme diskutiert. Die einfache Weiterbildungsteilnahmequote ist allerdings nur bedingt aussagekräftig, weil sich die Weiterbildungsbedarfe vor Ort mitunter deutlich unterscheiden. In einer wirtschaftlich stark aufgestellten Region mit vielen Personen im erwerbsfähigen Alter wird die Teilnahmequote erwartungsgemäß höher ausfallen als in einer wirtschaftlich schwachen Region mit einer älteren Bevölkerung. Berücksichtigt man diese und weitere Unterschiede zwischen den Regionen, so kann man die Regionen an dem messen, was für sie zu erwarten wäre und feststellen, ob diese Erwartungen übertroffen oder nicht erreicht werden.

Ein wichtiges Ziel beim Deutschen Weiterbildungsatlas war stets die Vergleichbarkeit. Weil Regionen aber zunächst quasi per Definition nicht gleich sind, ist es ein schwieriges Unterfangen, eine gute Vergleichbarkeit zu erzeugen. Um dies zu schaffen muss man sich zunächst fragen, entlang welcher Aspekte Regionen „gleich gemacht“ werden sollen und was weiterhin variieren darf.

 

Gruppieren oder Unterschiede direkt messen?

Häufig werden Regionen zum Zwecke der Vergleichbarkeit in Gruppen eingeteilt. Zu vergleichen ist dann typischerweise innerhalb der Gruppen. Das Bundesinstitut für Bau- Stadt- und Raumforschung (BBSR) beispielsweise bietet eine Kategorisierung der genutzten Raumordnungsregionen in 3 Gruppen an, die sich vor allem auf die siedlungsstrukturellen Merkmale wie die Bevölkerungsdichte und den Bevölkerungsanteil in größeren Städten bezieht. Um hinsichtlich der Weiterbildungsteilnahme Vergleichbarkeit zu erzeugen, reicht diese Kategorisierung allerdings noch nicht aus. Auch in ländlichen und weniger besiedelten Regionen kann es beispielsweise eine weiterbildungsaffine Bevölkerung, eine starke Wirtschaft und somit Weiterbildungsbedarfe geben. Doch wie erzeugt man eine gute Vergleichbarkeit hinsichtlich der Weiterbildung? Der Deutsche Weiterbildungsatlas nutzt hierzu keine Kategorisierung der Regionen sondern misst die Potenziale direkt, die sich aus den regionalen Merkmalen der Regionen ergeben. So wird eine bundesweite Vergleichbarkeit angestrebt, indem jede Region an sich selbst gemessen wird. Doch was wurde berücksichtigt und warum?

 

Weiterbildungsaffinität des Arbeitsmarktes und der Individuen ist zentral

Regionen werden also bei der sogenannten Potenzialausschöpfung an dem gemessen, was auf Grundlage der regionalen Gegebenheiten zu erwarten wäre. Berücksichtigt wurden hierbei Merkmale, die im Wesentlichen als gegeben angenommen werden können und demnach nicht leicht veränderbar sind. Hierzu gehört die örtliche Sozialstruktur – also die Zusammensetzung der Bevölkerung hinsichtlich soziodemografischer und arbeitsmarktbezogener (berufliche Situationen, Qualifikationen, etc.) Merkmale – sowie die Wirtschaftsstruktur (Bruttowertschöpfung nach Wirtschaftsbereichen) und Infrastruktur (Fahrtzeiten zu Autobahn, Mittel- und Oberzentrum). Auch wenn beispielsweise die Wirtschaftsstruktur und damit zum Teil auch die Sozial- und Infrastruktur durch politische Steuerung in gewissem Maße verändert werden kann, so ist sie wie auch die anderen Aspekte mindestens mittelfristig als gegeben anzusehen.

Welche Rolle die Faktoren im Einzelnen spielen kann an dieser Stelle nicht im Detail besprochen werden (detaillierte Informationen hierzu finden Sie im Ergebnisbericht des DIE unter www.ergebnisbericht.deutscher-weiterbildungsatlas.de). Im Wesentlichen zeigte sich, dass eine starke Wirtschaft und eine sozioökonomisch gut gestellte Bevölkerung einen positiven Einfluss auf die Teilnahmequote haben. An dieser Stelle sei kurz erwähnt, dass sich der Weiterbildungsatlas bei der Berechnung der Erwartung zu einem großen Teil auf Informationen über die Befragten des untersuchten Mikrozensus stützt. Dies ermöglicht es, auch Interaktionen zwischen individuellen Merkmalen Rechnung zu tragen. So nimmt beispielsweise ein angestellter Akademiker wahrscheinlicher an Weiterbildungen teil als ein geringqualifizierter Angestellter. Damit wird der regionalen Sozialstruktur im Detail Rechnung getragen. Bei der Berücksichtigung der Wirtschafts- und Infrastruktur muss naheliegender Weise auf Makrodaten zurückgegriffen werden. Am Ende ergibt sich aus all diesen Informationen für jede Region eine erwartete Teilnahmequote, die auf Grundlage der regionalen Gegebenheiten statistisch zu erwarten wäre. Das Spannende ist nun: Erreichen die Regionen Deutschlands mit ihren tatsächlich gemessenen Teilnahmequoten im Wesentlichen diese Erwartungen? Und wenn nicht: Wie stark weichen Sie davon ab?

 

17 der 96 Regionen bleiben deutlich hinter ihren Möglichkeiten zurück

Bei der Potenzialausschöpfung zeigt sich, dass ein Großteil der Regionen das vorhandene Weiterbildungspotenzial im Wesentlichen ausschöpft. 66 der 96 Regionen liegen innerhalb einer Standardabweichung (SD=15,8 Prozent) und schöpfen somit mindestens 84,2 Prozent ihres Potenzials aus oder übertreffen die erwartete Teilnahmequote um bis zu 15,8 Prozent. Dem gegenüber stehen allerdings auch 13 Regionen, die die Erwartungen um mehr als 15,8 Prozent übertreffen und 17 Regionen, die weniger als 84,2 Prozent ihres Potenzials nutzen.

Mit Blick auf die obige Grafik lässt sich leicht erkennen, dass gerade besonders hohe oder niedrige Teilnahmequoten durch die Berücksichtigung der Sozial-, Wirtschafts- und Infrastruktur nicht erklärt werden können. Mit den gemessenen Teilnahmequoten weichen diese insgesamt 30 Regionen erheblich von dem Wert ab, der statistisch zu erwarten wäre. Hierzu gehören auch die beiden Regionen mit der niedrigsten und höchsten Teilnahmequote: Emsland und Würzburg. Für das Emsland wird auf Grundlage der Strukturdaten eine in leicht unterdurchschnittliche (12,8 Prozent; Bund: 13,5 Prozent) und für Würzburg eine leicht überdurchschnittliche Teilnahmequote (14,7 Prozent) erwartet.

 

Besonders hohe und niedrige Teilnahmequoten in den Regionen begründet

Die berücksichtigten Merkmale können die Unterschiede bei starken Ausreißern also nur bedingt erklären. Insgesamt lassen sich durch die Berücksichtigung der Merkmale etwa 33 Prozent der Unterschiede in den Teilnahmequoten der Regionen erklären. Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Etwa 67 Prozent der Unterschiede sind weiterhin Spezifika der Regionen und Ihrer Bevölkerungen. Beispielsweise kann es sich hierbei um eine Besonderheit der regionalen Wirtschaft oder ein besonders passgenaues Weiterbildungsangebot handeln. Interessante Fälle lassen sich auch in den Quadranten oben links und unten rechts (siehe Grafik) ausfindig machen. So kann beispielsweise die wirtschaftlich sehr gut aufgestellte Region München trotz einer überdurchschnittlich hohen Teilnahmequote von 15,8 Prozent den hohen statistischen Erwartungen (20,7 Prozent) nicht gerecht werden. Auf der anderen Seite schafft es das wirtschaftlich eher schwach aufgestellte Vorpommern mit einer unterdurchschnittlichen Teilnahmequote von 12,3 Prozent die statistischen Erwartungen (10,6 Prozent) zu übertreffen.

 

Teilnahmequote und Potenzialausschöpfung ergänzen sich

Weder die absolute Teilnahmequote noch die Potenzialausschöpfung taugen einzeln zur Bewertung der Weiterbildung in einer Region. Die Kennzahlen ergänzen sich gegenseitig und sollten auch so gelesen werden. Denn selbst wenn eine Region mit einer niedrigen Teilnahmequote die Erwartungen übertrifft, so ist die Teilnahmequote immer noch niedrig und verhältnismäßig wenige Menschen werden durch Weiterbildungen erreicht. Die Potenzialausschöpfung gibt eine ergänzende Einordnung, wie gut die strukturellen Möglichkeiten vor Ort genutzt werden.

Die hier nicht besprochenen Trends der Potenzialausschöpfung beschreiben, ob zwischen 2007 und 2012 verstärkt Potenziale genutzt oder aber verschenkt wurden. Ebenso wie bei der Teilnahmequote wurde auch bei der Potenzialausschöpfung die geringqualifizierte Bevölkerung gesondert betrachtet. Auch hier zeigen sich zum Teil erhebliche Abweichungen von den zu erwartenden Teilnahmequoten.

Bis hierhin wurden lediglich strukturelle Voraussetzungen der Regionen untersucht. Welche Rolle die Weiterbildungsangebote für die Weiterbildungsteilnahme vor Ort spielen und wie sich unterschiedliche Angebotstypen in Deutschland regional verteilen wird in den folgenden drei Beiträgen dieser Reihe diskutiert. Der nächste Blogbeitrag behandelt das öffentliche Weiterbildungsangebot der Volkshochschulen.

Alle Ergebnisse der Bundesländer und Raumordnungsregionen sowie weitere Informationen rund um den Deutschen Weiterbildungsatlas finden Sie unter www.deutscher-weiterbildungsatlas.de

 

Blogreihe zum Deutschen Weiterbildungsatlas:

 



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