Inklusion als Aufgabe der beruflichen Bildung 4/5

Die Positionen der Initiative „Chance Ausbildung – jeder wird gebraucht!“

Junge Menschen mit Behinderungen haben das Recht auf eine volle und gleichberechtigte Teilhabe an Gesellschaft und damit auch an beruflicher Bildung. Bislang werden sie aber überwiegend nicht im Regelsystem ausgebildet, sondern in speziellen Maßnahmen und Einrichtungen.
Im Schulsystem, wo man bis vor kurzem ebenfalls der Meinung war, eine bestmögliche individuelle Förderung sei nur in speziellen Förderschulen möglich, gilt diese Ansicht mittlerweile als überholt. Hier kann man aber auch eines deutlich sehen: Dort, wo Schulen Inklusion besonders erfolgreich umsetzen, ist sie nicht beschränkt auf das Thema der gemeinsamen Beschulung von Behinderten und Nichtbehinderten – sie ist kennzeichnet durch eine neue, wertschätzende Haltung zur Heterogenität aller Menschen, die diese zum Ausgangspunkt der pädagogischen Überlegungen macht.
Was bedeutet demnach Inklusion bezogen auf berufliche Bildung? Wie muss ein Ausbildungssystem gestaltet sein, damit es Inklusion ermöglicht? Ist Teilhabe schon erreicht, wenn irgendeine Art von beruflicher Bildung angeboten wird? Sind besondere Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen wirklich immer der beste Weg?
Die Initiative „Chance Ausbildung – jeder wird gebraucht!“, die sich aus zwölf Ministerien aus acht Bundesländern, der Bundesagentur für Arbeit sowie der Bertelsmann Stiftung zusammen setzt, hat diese Fragen in einem längeren Diskussionsprozess thematisiert und dazu Ziele und Positionen formuliert.
Mehr Jugendliche mit Behinderungen in einem anerkannten Ausbildungsberuf auszubilden und die Ausbildung generell inklusiver zu gestalten sind dabei die Hauptziele. Um diese zu erreichen, sind nach Ansicht der Initiative im Wesentlichen fünf Handlungsfelder der beruflichen Bildung betroffen:

  1. Berufsorientierung und Berufsvorbereitung
  2. Betriebliche Ausbildungsressourcen
  3. Berufliche Schulen
  4. Fördereinrichtungen mit sonderpädagogischen Kompetenzen
  5. Curriculare Gestaltung von Ausbildung

Die spezifischen Herausforderungen und Veränderungsnotwendigkeiten in den jeweiligen Handlungsfeldern sehen demnach folgendermaßen aus:

1. Gestaltung von Berufsorientierung und Berufsvorbereitung

  • Bereits in den allgemeinbildenden Schulen sind Konzepte für eine integrierte Berufsorientierung (darunter Berufsberatung und Berufseinstiegsbegleitung) zu nutzen. Von diesen sollten Jugendliche mit und ohne Behinderungen gleichermaßen profitieren. So lässt sich die frühe Kanalisierung in Sonderwege unterbinden. Dazu sollten in den Bundesländern gute Beispiele systematisch erfasst und handlungswirksam verbreitet werden.
  • Fachliche Ausbildungsanteile in berufsvorbereitenden Maßnahmen sind in Anlehnung an die Ausbildungsinhalte aus anerkannten Ausbildungsberufen zu gestalten. Dadurch lassen sie sich transparent ausweisen, anrechnen und können andere Anschlüsse ermöglichen. Die fachlichen Anteile sollten außerdem in Umfang und Inhalt so strukturiert sein, dass sie einerseits den Lernbedürfnissen bei Jugendlichen mit Behinderungen entgegenkommen und ihre Motivation stärken, andererseits aber auch Betrieben eine Anrechnung dieser Module auf nachfolgende Ausbildungsphasen ermöglichen.

2. Gewinnung betrieblicher Ausbildungsressourcen

  • Die Ausbildung von Jugendlichen mit Behinderungen sollte betriebsnah und dualisiert gestaltet sein. Im Idealfall erfolgt dies im Rahmen einer (unterstützten) betrieblichen Ausbildung, subsidiär auch in der Verantwortung von schulischen oder außerbetrieblichen Trägern. Dazu sollten mehr Betriebe dafür gewonnen werden, Jugendliche mit Behinderungen eigenständig – oder verzahnt mit anderen Trägern – in einem anerkannten Ausbildungsberuf auszubilden.
  • Es ist zu gewährleisten, dass in Ausbildungsbetrieben notwendige materielle und technische Ausstattungen sowie Lehr- und Beratungskompetenzen für das Ausbildungspersonal vorhanden sind oder in Kooperationen genutzt werden können und dass die Auszubildenden individuell unterstützt werden. Dies gelingt nur mit dem notwendigen Grundverständnis für eine inklusive Ausbildung. Unterstützend tätig werden können hier vor allem die bestehenden Träger der Ausbildung und Beschäftigung von Jugendlichen mit Behinderungen. Erforderlich sind zudem gute Beispiele dafür, in welcher Form Betriebe, Ausbildungspersonal und Auszubildende ebenso verlässlich wie kontinuierlich unterstützt werden können. Ferner sind Konzepte und Ideen gefragt, wie die einzelnen Unterstützungsformen angeboten und effektiv nutzbar gemacht werden können.
  •   Im Rahmen der Ausbildungsgestaltung sollten Formen der zeitlichen Flexibilisierung stärker genutzt werden. So kann die Ausbildung – entsprechend den individuellen Voraussetzungen der Jugendlichen mit Behinderungen – zeitlich gestreckt oder bei akuten Problemlagen auch unterbrochen und zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden. Auch hier sollten vorhandene Erfahrungen transparent gemacht und genutzt werden.
  •   Die Voraussetzungen für eine bessere betriebliche Ausbildung von Jugendlichen mit Behinderungen sind auch mittelfristig zu stärken. Inklusive Berufsbildung muss dafür fest in der Qualifizierung der Ausbilder verankert und die Sensibilität für das Thema regional sowie national geschärft werden. Letzteres zielt besonders auf ein stärkeres Engagement der Kammern und Sozialpartner.
  •   Es ist sicherzustellen, dass auf Bundes- und Länderebene die bestehenden Unterstützungs- und Förderangebote in ihrer Anreizwirkung so ausgelegt sind, dass sich die Zahl der betrieblich-dualen Ausbildungsplätze für Jugendliche mit Behinderungen in den kommenden Jahren deutlich erhöht.

tbc… (Fortsetzung folgt)



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