„Endlich habe ich es schriftlich, dass ich etwas kann!“ – Das österreichische Modell Du kannst was!

Das Thema Anerkennung von informell und non-formal entwickelten Kompetenzen fand in Österreich lange keine Beachtung. Es wurde schlicht und einfach kein Bedarf gesehen ein Anerkennungssystem für informelle und non-formal erworbene Kompetenzen zu etablieren. Zu stark war (und ist immer noch) die Dominanz des formalen Ausbildungssystems.

Im Wind der internationalen Bildungspolitik und der sich zuspitzenden Lage am Arbeitsmarkt sind jedoch in den letzten Jahren einige Anerkennungsverfahren für Geringqualifizierte, meist auf regionaler Ebene, entwickelt worden. Eine koordinierte Strategie für die Anerkennung informeller und non-formaler Kompetenzen fehlt in Österreich aber nach wie vor.

 

Anerkennung als Teil der Strategie zur Höherqualifizierung von Geringqualifizierten

In Österreich ist der Arbeitsmarkt eng mit dem (Berufs-)Bildungssystem verzahnt. Wer keinen formalen Ausbildungsabschluss hat, der ist hohen Arbeitsmarktrisiken ausgesetzt. Im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik nimmt daher die Arbeitsmarktintegration von Geringqualifizierten einen zentralen Stellenwert ein (vgl. dazu auch der Blog-Beitrag von Nicolas Schöpf). Zentrale Strategie ist es daher Geringqualifizierte zu einer Facharbeiterausbildung zu führen (Höherqualifizierung) und damit deren Arbeitsmarktrisiken zu reduzieren.

In diesem Kontext können aktuell zwei praxiserprobte Ansätze hervorgehoben werden, die Elemente von Anerkennung, Qualifizierung und Begleitung beinhalten. Beiden gemeinsam ist letztlich das Ziel ein Lehrabschlussprüfungszeugnis zu erwerben:

1) „Kompetenz mit System“ * des Arbeitsmarktservice Österreich und

2) Du kannst was! ** in Oberösterreich, welches anschließend nun genauer behandelt wird.

Ebenso wie in Deutschland ist die Lehrlingsausbildung (duale Ausbildung) traditionell stark im Berufsbildungssystem verankert. Immerhin absolvieren fast 40% der Jugendlichen in der Sekundarstufe II in Österreich diese Form der Ausbildung. Und es liegen aktuell knapp 200 verordnete Berufsbilder vor.

 

Die Grundidee des Programms Du kannst was! ist einfach

Das Angebot des Programms richtet sich an geringqualifizierte Personen, die

(1) über keinen Berufsabschluss verfügen,

(2) ihren ursprünglich erlernten Beruf nicht mehr ausüben und

(3) mit Migrationshintergrund, deren Berufsabschluss in Österreich nicht anerkannt ist.

Gesetzliche Voraussetzung ist ein Mindestalter von 22 Jahren.

Die Grundidee ist, Geringqualifizierte durch eine erwachsenengerechte und zielgruppenorientierte Form zu einem Lehrabschlussprüfungszeugnis zu führen. Dabei sollte gezielt auf bereits entwickelte berufliche Kompetenzen aufgebaut werden. Am Ende wird ein Lehrabschlussprüfungszeugnis vergeben, ohne eine theoretische und praktische Prüfung im klassischen Setting absolvieren zu müssen.

 

Vom regionalen Pilotprojekt zum überregionalen Regelbetrieb: wechselseitiges Vertrauen als Schlüsselfaktor

Dieses Modell geht auf eine gemeinsame Initiative der oberösterreichischen Sozialpartner (Arbeiterkammer Oberösterreich und Wirtschaftskammer Oberösterreich) zurück. Die Erprobung erfolgte zunächst in Form eines Pilotprojektes im Jahr 2008/09, das anschließend aufgrund des großen Erfolgs bereits innerhalb kürzester Zeit in den Regelbetrieb überführt wurde. Bemerkenswert ist, dass die Umsetzung zunächst lediglich auf sozialpartnerschaftliche Übereinkünfte durch wechselseitiges Vertrauen (wie Rudolf Riegler, Leiter des Trägervereins Firmenausbildungsverbund Oberösterreich in seinem Kommentar zum Blog-Beitrag von Martin Noack auch angeführt hat.) unter Einverständnis des Wirtschaftsministeriums basierte. Erst 2011 ist eine entsprechende Novelle im Berufsausbildungsgesetz *** eingeführt und somit auf eine rechtliche Basis gesetzt worden.

In den letzten Jahren haben bereits weitere zwei Bundesländer (Burgenland, Salzburg) mit der Implementierung des Modells Du kannst was! begonnen. Gleichzeitig wird das Angebot an möglichen Berufen laufend ausgeweitet.

 

Portfolioarbeit als Herzstück des Anerkennungsverfahrens

Der Ablauf von Du kannst was! lässt sich idealtypisch in sechs Phasen unterteilen:

  1. Zu Beginn erfolgt eine verpflichtende Einstiegsberatung. Ziel dieser Beratung ist eine Abklärung darüber, ob eine Teilnahme an diesem Programm grundsätzlich als sinnvoll erachtet wird oder ob alternative Wege eingeschlagen werden sollten.
  2. Das Herzstück ist eine Portfolio-Arbeit, in der bereits entwickelte Kompetenzen analysiert und dokumentiert werden. Die Portfolio-Arbeit wird im Zuge eines mehrmaligen Workshops unter Begleitung von Portfolio-TrainerInnen erarbeitet. Die Workshops haben eine Gruppengröße von acht bis zwölf TeilnehmerInnen. Ergebnis dieser Phase ist eine Portfolio-Mappe, in der eine Selbsteinschätzung berufsbildrelevanter Kompetenzen gegeben wird. Die Selbsteinschätzung kann dabei mit unterschiedlichsten Nachweisen (Zeugnis, Kursbestätigung, etc.) unterstützt werden. Die Portfolio-Mappe wird nach der Fertigstellung an Mitglieder der Prüfungskommission der Wirtschaftskammer übermittelt.
  3. Qualicheck I: Die in der Portfolio-Arbeit angeführten beruflichen Kompetenzen werden bei einem Fachgespräch gemeinsam mit erfahrenen PrüferInnen ausgewertet und überprüft. Als Bezugsrahmen dient dabei die Ausbildungs- bzw. Prüfungsordnung des fraglichen Lehrberufs. Wenn das Berufsbild nicht vollständig, aber zumindest mehr als die Hälfte des Berufsbildes nachgewiesen wird, dann werden individualisierte, ergänzende Weiterbildungsmaßnahmen eingerichtet.
  4. Ergänzende Weiterbildung: Die in Hinblick auf das Berufsbild fehlende Kompetenzen werden auf der Basis eines individuellen Weiterbildungsplanes entwickelt. Dies kann beispielsweise durch die Absolvierung von Kursen, durch die Einbeziehung der Berufsschule oder aber auch durch die Erweiterung der beruflichen Praxis in einem Betrieb erfolgen.
  5. Qualicheck II: Die Überprüfung der noch nicht nachgewiesenen Kompetenzen erfolgt durch ein Fachgespräch sowie durch eine praktische Arbeit (Arbeitsprobe) vor der Lehrabschluss-Prüfungskommission. Im Vergleich zur Lehrabschlussprüfung steht hier eine an die Zielgruppe angepasste Prüfungsdidaktik im Vordergrund.
  6. Bei positivem Ausgang des Verfahrens werden die beruflichen Kompetenzen durch ein Lehrabschlussprüfungszeugnis anerkannt, das durch die Lehrlingsstelle ausgestellt wird. Dieses Zeugnis unterscheidet sich nicht vom jenem, das auf dem normalen Weg durch die Lehrausbildung vergeben wird und führt somit zu einem formalen, gesetzlichen anerkannten Berufsabschluss.

 

Es gibt aber noch viel zu verbessern…

Du kannst was! ist zweifelsohne ein Erfolgsmodell. Allerdings gibt es noch viel Verbesserungspotenzial, vor allem die Klärung der Verfahrensregeln betreffend. Die aktuelle Implementierung basiert weitestgehend auf informellen Übereinkünften zwischen den beteiligten Akteuren. Zwar gibt es eine gesetzliche Grundlage im Hinblick auf die Zielbestimmung, nicht jedoch hinsichtlich der Sicherstellung einer qualitätsvollen Umsetzung. Die aktuell im Projekt eingesetzten Instrumente und Methoden sind wenig wissenschaftlich reflektiert. Unklar bleiben auch die notwendigen professionellen Voraussetzungen der Portfolio-BegleiterInnen. Immerhin müssen diese nicht nur eine Expertise im jeweiligen Berufsbild aufweisen, sondern sind auch mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und vielfachen Lern-/Prüfungswiderständen der Teilnehmenden konfrontiert.

Obwohl die Anerkennung von informellen und non-formalen Lernen zentral in vielen bildungspolitischen Papieren, wie z.B. der Strategie zum lebensbegleitenden Lernen der Republik Österreich oder den Bildungsfundamenten der Sozialpartner verankert ist, bleibt daher abzuwarten, ob eine österreichweite Umsetzung gelingt.

 

Quelle: Pressekonferenz zum Thema „Du kannst was!“ am 20.01.2015, Linz

* Weitere Informationen siehe Weber, Friederike. (2014). Kompetenz mit System (KMS). Ein innovatives Instrument des AMS zur Heranführung von Personen mit maximal Pflichtschulabschluss an formale Berufsbildungsabschlüsse. AMS info, (271). Abgerufen von http://www.pro-spect.at/docs/AMSinfo271.pdf

** Zur leider nicht immer aktuell gehaltenen Website: http://www.dukannstwas.at/

*** Berufsausbildungsgesetz §23 (11):  https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10006276



Kommentar verfassen