Möglichkeiten des Erwerbs der Hochschulzugangsberechtigung während der Berufsausbildung verbessern – Forderungen zur Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung Teil 3/5

Ausbildung + (Fach-)Abi?

Schulabgänger mit einem guten mittleren Schulabschluss sind häufig ratlos in Anbetracht der Frage: Soll ich doch noch das Abitur machen oder direkt in eine Ausbildung und damit in das Berufsleben starten? Auf der einen Seite hat das Abitur in Deutschland hohes Prestige und eröffnet den Zugang zur Hochschule ohne Umwege. Auf der anderen Seite bietet die Ausbildung die Möglichkeit, nicht nur die Schulbank zu drücken, sondern auch in der Praxis zu lernen und zudem bereits Geld zu verdienen. Gerade für junge Menschen, die vor dieser schwierigen Entscheidung stehen wäre ein Angebot attraktiv, das eine Ausbildung mit dem Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung (HZB) verbindet. Deshalb setzt sich die Initiative* „Chance Ausbildung – jeder wird gebraucht!“ in ihrem Positionspapier für einen verbesserten ausbildungsbegleitenden Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung ein.

Was es schon gibt und wo die Schwächen liegen

In vielen Bundesländern besteht grundsätzlich bereits die Möglichkeit, die (fachgebundene) HZB während der Berufsausbildung zu erwerben. Dass ein Jugendlicher diese Möglichkeit nutzen kann, setzt allerdings ein konkretes Angebot „vor Ort“ voraus. Dieses wiederum ist häufig davon abhängig, ob ausreichend Teilnehmer für eine Berufsschulklasse zustande kommen. Von diesem Angebot, Ausbildung und (Fach-)Abitur zu kombinieren, wird bislang kaum Gebrauch gemacht. Neben dem genannten Umstand der örtlichen Verfügbarkeit liegt das mit Sicherheit auch daran, dass die Regelungen dafür meist schwer zu durchschauen sind und solche Angebote selbst in der Fachöffentlichkeit weitgehend unbekannt sind.

Was wir uns von Österreich und der Schweiz abschauen können

Hier lohnt es sich einmal über den Tellerrand zu schauen: Die Schweiz ermöglicht leistungsstarken Jugendlichen beispielsweise den Erwerb der sogenannten „Berufsmaturität“ in Verbindung mit einem Berufsausbildungsabschluss und damit die Zulassung zur Fachhochschule. Die Berufsmaturität kann entweder parallel oder nach einer beruflichen Ausbildung erworben werden. Sie umfasst Unterrichtsstunden in den Bereichen Landessprache, Fremdsprache, Geschichte/Staatslehre, Wirtschaft und Recht sowie Mathematik. Dass die Berufsmaturität gut auf ein Fachhochschulstudium vorbereitet, zeigt das Ergebnis einer Evaluation zur Studierfähigkeit: Rund 87 % der Studierenden mit Berufsmaturität meistern das erste Studienjahr erfolgreich. Damit ist die Erfolgsquote dieser Studierenden durchweg vergleichbar mit der von Studierenden mit einer gymnasialen Maturität. Auch zeigt die Quote derer, die ihre Ausbildung mit der „Berufsmaturität“ abschließen, dass die Berufsmaturität für viele ein attraktives Angebot ist: Diese ist im vergangenen Jahrzehnt stetig angestiegen und erreichte 2012 einen Anteil von 13,7 Prozent der Ausbildungsabsolventen.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Österreich mit der Berufsreifeprüfung. Diese eröffnet jungen Menschen einen uneingeschränkten Zugang zur Hochschule – gleich ob Fachhochschule oder Universität. Voraussetzung zur Absolvierung der Berufsreifeprüfung ist eine abgeschlossene berufliche Erstausbildung (z. B. der einer dualen Berufsausbildung oder der Schule für Gesundheits- und Krankenpflege). Mit der Vorbereitung auf die Berufsreifeprüfung kann zeitgleich mit dem Beginn der Berufsausbildung begonnen werden. Die Prüfungsvorbereitung erfolgt im Selbststudium, als Fernstudium oder in vorbereitenden Lehrgängen. Um die Berufsmatura zu erlangen, müssen vier Teilprüfungen in den allgemeinbildenden Fächern Deutsch, Fremdsprache und Mathematik sowie in einem Fach aus dem Berufsfeld des Kandidaten abgelegt werden. Die Absolvierung der Berufsreifeprüfung ist kostenlos. In Österreich stellt die Berufsreifeprüfung die wichtigste Möglichkeit des nicht-traditionellen Hochschulzugangs dar. Sie wird auch als Mittel für mehr soziale Durchlässigkeit und zur Attraktivitätssteigerung beruflicher Bildung betrachtet.

Ausbildung mit Abitur als Marke etablieren

Die Österreicher und Schweizer heben die Möglichkeiten besonders hervor, auch im Berufsbildungssystem die (Fach-)Hochschulreife zu erlangen. Sie haben die „Berufsmaturität“ beziehungsweise die „Berufsreifeprüfung“ zu regelrechten „Marken“ entwickelt. In Deutschland sollten alle Bundesländer den ausbildungsbegleitenden Erwerb der (Fach-)Hochschulreife ermöglichen und die bereits bestehenden verschiedenen Möglichkeiten stärker und besser bewerben. Dies kann z. B. dadurch erfolgen, dass der besondere Vorzug des gleichzeitigen Erwerbs von Ausbildungsabschluss und HZB hervorgehoben wird. Ähnlich wie in der Schweiz und Österreich könnte die Verknüpfung von Berufsausbildung und (Fach-)Abitur als eigenständige „Marke“ entwickelt werden, deren Außendarstellung letztlich auch der Erhöhung der Attraktivität der Berufsbildung insgesamt dienen könnte. Junge Menschen müssten mit dem „dualen Abitur“ nicht zwischen einem Entweder-oder wählen, sondern könnten sowohl die HZB erlangen als auch die Ausbildung absolvieren. So hätten sie zudem die Chance, schon während des Erwerbs der (Fach-)Hochschulreife zu schauen, ob eine Ausbildung in dem gewählten Bereich das Richtige für sie ist. Anschließend haben sie die Wahl: Sie können weiter in ihrem Ausbildungsbetrieb arbeiten, sich anderswo bewerben, oder doch ein Studium draufsatteln.

Soviel zu der Forderung der Initiative nach einem verbesserten ausbildungsbegleitenden Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung. Über die weiteren Forderungen werde ich hier demnächst ebenfalls berichten.

*Die Initiative „Chance Ausbildung – jeder wird gebraucht!“, bestehend aus elf Ministerien aus acht Bundesländern und der Bundesagentur für Arbeit sowie der Bertelsmann Stiftung, setzt sich für eine stärkere Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung ein. Um diese zu verwirklichen, hat die Initiative gemeinsam das Positionspapier „Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung – Positionen beziehen“ veröffentlicht. Weitere Informationen und Publikationen zum Thema sind hier zu finden.

Beitragsreihe zu den Forderungen der Initiative „Chance Ausbildung“ zur Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung



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