Anerkennung von Kompetenzen – Deutschland muss nachsitzen

Deutschland: Verschwendung statt Anerkennung von Kompetenzen?

Deutschlands duales Ausbildungssystem ist extrem erfolgreich und wird derzeit sogar von anderen Ländern adaptiert. Und das zu Recht. Menschen, die in Deutschland eine duale Ausbildung absolvieren, haben viel höhere gesellschaftliche Teilhabechancen. Leider erreicht es aber nicht alle, für die eine Hochschullaufbahn keine Option ist. Und für diese 6,1 Mio. Erwerbspersonen ohne abgeschlossene Berufsausbildung in Deutschland sieht die Situation düster aus. Ihre Chance arbeitslos zu werden ist vier mal so hoch wie die von Menschen mit Berufsausbildung. Dabei ist es keinesfalls so, dass sie schlicht nicht über die notwendigen Kompetenzen verfügen. Laut jüngsten Ergebnissen einer Studie am WZB verfügt jeder sechste formal gering qualifizierte Mann über hohe alltagsmathematische Kompetenzen. Diese zahlen sich für ihn aber überhaupt nicht auf seine Erwerbschancen aus. In Deutschland liegt das Nichterwerbsrisiko unabhängig von den tatsächlich vorhanden Kompetenzen bei Geringqualifizierten Männern in Deutschland bei knapp 30%.  Es zählt also hierzulande scheinbar nicht, was man kann, solange man keinen formalen Abschluss besitzt. Das ist nicht nur individuell ungerecht sondern auch eine volkswirtschaftlich eine Verschwendung von Kompetenzpotentialen. Dass das nicht so sein muss zeigt der Blick ins Ausland.

Was können wir von unseren Nachbarn lernen?

Im Europäischen Ausland gelingt es mittels rechtlich verankerter Verfahren zur Anerkennung non-formal und informell erworbener Kompetenzen, dieses ungenutzte Potenzial zu heben, wie ich Anfang des letzten Jahres auf der Veranstaltung Weiterbildung im Dialog von alphabund und BMBF lernen konnte. So reduziert sich zum Beispiel das Erwerbslosigkeitsrisiko von geringqualifizierten Männern in den Niederlanden von 32 % auf 8% für diejenigen, die gut rechnen können. In Dänemark sieht die Situation ähnlich aus, diejenigen mit niedrigster Mathekompetenz sind mit knapp 40% erwerbslos, die Geringqualifizierten mit hohem Matheverständnis nur noch mit gut 10%.

Was können wir daraus für Deutschland lernen? Gerade mit Blick auf das vom EU-Rat vorgegebene Ziel, in den Mitgliedstaaten ein formales Kompetenzanerkennungssystem bis 2018 zu etablieren. Auf einem Workshop im Rahmen der EUCIS-LLL Lifelong Learning Week diskutierte ich am 12.12.2014 mit knapp 70 internationalen Experten in Brüssel die Zwischenergebnisse einer Studie der Bertelsmann Stiftung.

Unsere Studie zur Anerkennung non-formalen und informellen Lernens im europäischen Vergleich beleuchtet acht europäische Good-Practice Beispiele und sucht entlang von fünf Kernelementen nach Impulsen für einen Transfer nach Deutschland. Die Kernelemente Recht, Verfahren, Institutionalisierung, Finanzierung, und Supportsysteme beschreiben  die wesentlichen Bestandteile eines nationalen Systems der Anerkennung von Kompetenzen.

Hierbei standen folgende Kernfragen im Zentrum:

– Wie gehen andere Ländern hinsichtlich der Anerkennung von Kompetenzen vor?
– Welche Systeme haben sich dort etabliert, wie werden sie genutzt und wie werden sie in der jeweiligen nationalen Diskussion bewertet?
– Welche Modelle oder Elemente davon können für Deutschland beispielgebend sei?

In Frankreich besteht zum Beispiel ein umfassender Rechtsanspruch auf die Anerkennung von Kompetenzen, welche in Zertifikaten mündet, denen man nicht mehr ansieht wo und wie der formale Abschluss erworben wurde. In der Schweiz sind Anerkennungsverfahren, vor allem für formal Geringqualifizierte weitestgehend kostenfrei. In Dänemark sind die Verfahren gemeinsam mit Arbeitgebern und Bildungsinstitutionen entwickelt worden, um ihre Relevanz für den Arbeitsmarkt sicherzustellen und in Schottland gibt es eine umfassende lokale Struktur für die oftmals notwendige Anerkennungsberatung.

In allen fünf „Schulfächern“ bzw. Kernelementen sind unsere Nachbarn weiter als wir, so dass Deutschland durch die Bank weg nachsitzen muss, um seinen „Abschluss“ als kompetenzorientiertes Land zu bekommen.

Worauf kommt es an?

Drei zentrale Erkenntnisse zeichnen sich ab. Erstens, damit die Anerkennung von Kompetenzen tatsächlich einen Mehrwert als Signalfunktion für Arbeitnehmer und Arbeitgeber bietet, muss sie an das in Deutschland zentrale formale Bildungssytem direkt anschließen, zum Beispiel über den deutschen Qualifikationsrahmen. Nur so kann eine Gleichwertigkeit von formalem und non-formalen bzw. informellen Lernen gesichert werden. Zweitens muss eine Umsetzung eines Anerkennungssystems für Deutschland die bestehende Akteurslandschaft berücksichtigen. D.h. zum Beispiel, dass die Kammern als Qualitätsgaranten formaler Bildungsabschlüsse eine wichtige Rolle einnehmen sollten. Drittens und letztens muss das System möglichst leicht zugänglich sein, um gerade Geringqualifizierten mit Kompetenzen eine echte Chance zu beruflichem Einstieg und Aufstieg zu ermöglichen. Hier ist eine umfassende Bildungsberatungsinfrastruktur ausschlaggebend.

Deutschland ein Entwicklungsland?

Bei der anschließenden Diskussion auf dem Workshop kam ich ins Gespräch mit Vertretern der Kammern, die durch die vorliegende Studie den Eindruck gewannen, Deutschland würde was berufliche Bildung angeht, als ein Entwicklungsland dargestellt. Es kann meines Erachtens keinen Zweifel daran geben, dass das deutsche formale Berufsbildungssystem extrem erfolgreich ist, und dass die verantwortlichen Akteure vieles tun, um den Zugang dazu zu erleichtern. Wenn es aber um die Erwachsenen ab 25 Jahren geht, für die der Zug für die normale duale Ausbildung in der Regel abgefahren ist, sei es weil die Lebensumstände entsprechende Gehaltseinbußen nicht erlauben, oder weil ein Drei-Jahres-Zeitraum eine schier unüberwindbare Hürde darstellt, hat Deutschland noch nicht die richtigen Antworten gefunden.  Wir sind was die Kompetenzanerkennung angeht noch kein entwickeltes Land.

Aber es gibt Hoffnung. Das Anerkennungsgesetz für im Ausland erworbene Abschlüsse zum Beispiel sieht in Ausnahmen eine Gleichwertigkeitsfeststellung auf Basis von Kompetenznachweisen (z.B. Projekt Prototyping) vor. Eine Ausweitung auf Inländer wäre vielleicht ein Anfang. Auch die Bestrebungen einiger Kammern, über Teilqualifikationen erwachsenen Geringqualifizierten den Erwerb eines Berufsabschlusses zu ermöglichen, sind bemerkenswert. Deutschland ist also zumindest kein gescheiterter Staat, sondern vielleicht wirklich einfach ein Land, was sich noch entwickelt.

Over and out.



Kommentare

  1. / von Dirk Schäfer

    Ich stimme in fast allen Punkt überein.
    Ein interssanter Ansatz für die Identifikation von informellen Kompetenzen findet man übrigens bei den Projekten AiKo (Anerkennung informeller Komeptenzen) und der online-Weiterbildungsberatung von Celo-Online (www.celo-online.de)

  2. / von Martin Noack

    Vielen Dank für den Hinweis auf AiKo . Das Projekt verspricht spannend zu werden. Es ist m.E. auch nicht verwunderlich, dass sich in Regionen und Branchen mit bereits jetzt schon spürbaren Fachkräfteengpässen die Sozialpartner direkt auf den Weg machen, die Kompetenzpotentiale zu heben, die durch informelles und non-formales Lernen entstehen. Spannend ist, dass das zu entwickelnde Verfahren für ein „europäisches Leistungspunktesystem im Bereich der Berufsbildung kompatibel“ sein soll. Ob hier auf ECVET abgezielt wird?

  3. / von Rudolf Riegler

    in Oberösterreich gibt es das Projekt „Du kannst was“. Im Rahmen dieses Projektes werden auf Fachkräfteebene informell und nonformal erworbene Kompetenzen anerkannt und ein gültiges Lehrabschlussprüfungszeugnis wird bei Vorhandensein der dem Lehrberuf entsprechenden Qualifikationen ausgestellt. Kurzinfo dazu unter http://www.dukannstwas.at (die Berufsliste hat sich in der Zwischenzeit allerdings verlängert). Unlängst gab es dazu auch eine Pressekonferenz: https://www.land-oberoesterreich.gv.at/cps/rde/xbcr/ooe/PK_LR_Dr__Strugl_Projekt_Du_kannst_was_20_1_2015.pdf
    Mich amüsiert immer wieder, wie in Europa seit Jahren zigtausende Euros in Projekte und Kongresse zum Thema fließen… Wir haben in OÖ ohne EU- Mittel (da hätte die Projekteinreichung, Administration und das Berichtswesen wahrscheinlich mehr gekostet als das Projekt selbst) unter Beteiligung aller relevanten Kräfte (Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer, Gewerkschaften) und viel gutem Willen das Projekt entwickelt und setzen es um. Wer will, kann sich gerne bei mir informieren bzw. präsentieren wir das Projekt gerne vor Ort (gegen Ersatz des Reise- und Zeitaufwandes). Das Projekt besticht durch seine Einfachheit – wahrscheinlich ist es für unsere Welt schon wieder zu einfach 🙂

  4. / von Martin Noack

    Vielen Dank für den Hinweis. Das Projekt „du kannst was“ hat uns ebenfalls beeindruckt. Unsere Länderstudie zu Österreich stellt es explizit als good practice Beispiel vor, gerade wegen der guten Kooperation der zentralen Akteure. Aber auch wegen des direkten Nutzens gerade für die Gruppe der Geringqualifizierten.
    Die vollständige Veröffentlichung unserer Studie wird neben den o.g. Ländern und Österreich auch noch Norwegen, die Niederlande und die Schweiz betrachten. Interessenten nehmen wir gerne in unseren Verteiler auf.

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