Ohne Hochschulzugangsberechtigung an die Uni? Gutachten zum Modell der studienintegrierenden Ausbildung

Das Modell der studienintegrierenden Ausbildung verzahnt Ausbildungs- und Studieninhalte. Es ermöglicht jungen Menschen damit die Entscheidung für eine Ausbildung oder ein Studium auf der Grundlage eigener Erfahrung. Von dieser Möglichkeit sollen auch junge Menschen ohne (Fach)Abitur profitieren. Doch welche rechtlichen Rahmenbedingen und was für eine Studienorganisation an der Hochschule werden dafür benötigt? Diesen und weiteren Fragen gehen die Forscher der Ossietzky Universität Oldenburg in der Studie „Studienintegrierende Ausbildung für Jugendliche ohne Abitur – Rahmenbedingungen und Studienorganisation“ nach.

Ausbildung und Studium – verschiedene Welten?
In Deutschland sind die berufliche und die akademische Bildung traditionell zwei voneinander getrennte Pfade. Erst in den vergangenen Jahren konnten Fortschritte bei der Annäherung der beiden Bildungsbereiche erzielt werden. Duale Studiengänge, welche ein Studium mit einer Ausbildung oder berufspraktischen Anteilen verbinden, sind beispielhaft für eine Verzahnung beruflicher und hochschulischer Bildung.

Vom Entweder-oder zum Sowohl-als-auch
Um die Durchlässigkeit zwischen Ausbildung und Studium weiter zu verbessern, wurde im Rahmen der ersten Phase der Initiative „Chance Ausbildung“ (2013 bis 2016) das Modell der sogenannten „studienintegrierenden Ausbildung“ (kurz: SiA) entwickelt. Im SiA-Modell werden Ausbildungs- und Studieninhalte in einer Grundstufe curricular miteinander verbunden. An diese anschließend können sich die Jugendlichen für eine der drei folgenden Anschlussoptionen entscheiden:

a) Fortführung und Abschluss der dualen Berufsausbildung,
b) Fortführung des Studiums bis zu einem Bachelorabschluss oder
c) Fortführung der studienintegrierenden Ausbildung bis zu einem Doppelabschluss, bei dem Ausbildungs- und Bachelorabschluss erreicht werden können.

Anders als das duale Studium richtet sich das SiA-Modell nicht nur an leistungsstarke Lernende mit (Fach-)Abitur. Im Sinne eines durchlässigeren und damit chancengerechten Bildungssystems steht das Modell vielmehr auch Jugendlichen ohne (Fach-)Abitur offen, die studieren möchten.

Für Jugendliche ohne (Fach-)Abi mit einem mittleren Bildungsabschluss ist das Modell aus drei Gründen attraktiv:

1) Durch die im Modell vorgesehenen Coaching- und Unterstützungsmaßnahmen werden die Teilnehmenden auf das akademische Lernen vorbereitet.
2) Das Bildungsmodell erlaubt ein risikofreies Kennenlernen des hochschulischen Arbeitens.
3) Die SiA verspricht auf dem Weg zum Hochschulabschluss einen deutlichen Zeitgewinn gegenüber den bislang bestehenden Varianten des Studierens ohne Abitur.

Ohne (Fach-)Abi an die Uni?
Mit der Idee auch Jugendlichen ohne (Fach-)Abi den Zugang zur Hochschule zu eröffnen wird in der Diskussion über die Verzahnung von beruflicher und akademischer Bildung Neuland betreten. Denn:
• Welche rechtlichen Rahmenbedingungen gibt es für Jugendliche ohne (Fach-)Abi, um Kurse an einer Hochschule zu absolvieren?
• Wie können Jugendliche ohne (Fach-)Abi didaktisch „abgeholt“ werden, damit sie die Studienmodule erfolgreich meistern?
• Gibt es Hochschulen oder Hochschultypen, die gegenüber Jugendlichen ohne (Fach-)Abi besonders offen sind?

Herausforderungen bei der Implementierung von SiA an der Hochschule
Die Herausforderungen, die bei der Umsetzung des Modells gemeistert werden müssen, werden von den Studienautorinnen und -autoren – Katrin Brinkmann, Dr. Wolfgang Müskens, Joachim Stöter und Dr. Annika Maschwitz – zu vier Bereichen zusammengefasst:
1. Rechtliche Rahmenbedingungen,
2. Finanzen und erforderliche Ressourcen,
3. Kompetenz der Lernenden und
4. Instruktionsdesign.
Bei den „rechtlichen Rahmenbedingungen“ geht es um den Hochschulzugang und die Anrechnung bzw. Anerkennung von Vorleistungen. In dem Abschnitt „Finanzen und erforderliche Ressourcen“ werden die Studienfinanzierung und die verschiedenen Gebührenmodelle diskutiert. Unter „Kompetenz der Lernenden“ geht es um Fragen zur Studierfähigkeit der Jugendlichen ohne (Fach-)Abi, ihre Vorkenntnisse und ihre Studienmotivation. Im Kapitel „Instruktionsdesign“ wird die Gestaltung der Studieneingangsphase in Form von Präsenzveranstaltungen und E-Learning-Anteilen erörtert.

Erfordernisse für die erfolgreiche Umsetzung von SiA
Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass die Einführung des Modells an deutschen Hochschulen dann erfolgreich verläuft, wenn für alle vier Bereiche funktionierende Handlungsansätze gefunden werden. Idealerweise bewegt sich das Modell innerhalb der bereits vorherrschenden rechtlichen Rahmenbedingungen für den beruflichen und akademischen Bildungsbereich. Denn Veränderungen des geltenden Rechts können langwierig und aufwendig sein. Außerdem müssen dauerhafte (finanzielle) Ressourcen bereitgestellt werden. Zudem gilt es Konzepte auszuarbeiten, welche den besonderen zeitlichen und didaktischen Ansprüchen der Jugendlichen mit mittleren Bildungsabschlüssen gerecht werden. Das Modell muss zudem auch passend auf die Kompetenzen der teilnehmenden Jugendlichen zugeschnitten sein.
Die organisatorisch und rechtlich komplexe Verzahnung von Studium und (dualer) Ausbildung erfordert ein dauerhaftes (Projekt-) Management an den Hochschulen. Insbesondere während der Implementierungsphase des Bildungsmodells gilt es den Hochschulen besondere Fördermittel und Fördermöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, um die umfangreichen Anforderungen bewältigen zu können. Neben der zeitlichen Abstimmung der Studienmodule mit den Berufsschulen bzw. Arbeitgebern müssen die Lernenden auch bei der Studienfinanzierung unterstützt werden. Außerdem gilt es die Studierenden über die Studienanforderungen und -ablauf zu beraten und studienvorbereitende und -unterstützende Maßnahmen in der Studieneingangsphase zu entwickeln. Die Organisation eines studienbegleitenden Tutoring- bzw. Mentoring-Programms ist ebenfalls erforderlich. Erforderlich ist zudem eine Unterstützung bei der Anerkennung bzw. Anrechnung von Lernresultaten, die innerhalb oder während der Ausbildung erworben wurden.

Fazit der Autoren
Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass SiA ganz im Sinne eines durchlässigeren und damit chancengerechten Bildungssystems neue Bildungsoptionen für leistungsmotivierte Jugendliche bietet, die (noch) keine Hochschulzugangsberechtigung erworben haben. Dabei erhalten die Jugendlichen die Möglichkeit, eine Entscheidung zwischen Ausbildung und Studium auf Grundlage eigener Erfahrungen zu treffen.
Die steigende Nachfrage von Arbeitgebern nach hybriden (also sowohl praktisch-beruflichen als auch reflexiv-theoretischen) Kompetenzen der Beschäftigten und die zunehmenden technischen und sozial-personalen Anforderungen an Absolventinnen und Absolventen beruflicher Ausbildungen sprechen für eine Verzahnung von beruflichem und hochschulischem Lernen. Das Bildungsmodell der studienintegrierenden Ausbildung bietet hierfür erstmals einen umfassenden bildungssystematischen Ansatz.



Kommentare

  1. / von Nordisch

    gibt es in anderen Ländern wie angelsächsischen und skandinavischen Ländern schon lange!

    irgendwo las ich letztens, dass der angelsächsische Bildungstyp eigentlich für das 21. Jahrhundert besser geeignet ist, weil er eben mehr Berufsoffenheit ermöglicht und auch selbst gesteuertes Lernen zulässt

    was soll ich sagen? Nach den Lebenserfahrungen die ich in DE mit dem Bildungssystem machen musste, wo man sich nicht mal eigenständig in manchen Berufen weiterbilden kann selber, stimme ich den absolut zu !

    allein die Kammerregulierungen – in DE muss man teilweise erst jahrelang als sog. beruflich Qualifizierter erst arbeiten, um das Recht auf Fortbildung zu erhalten. Solche Einschränkungen gibt es in anderen Ländern GAR NICHT. Dort ist das Privatsache

    und das Bildungssysteme anderswo ohne Bildungsschisma einheitlich konstruiert sind und damit wechselseitig Abschlüsse anrechenbar sind und anerkannt werden, ist in Ländern wie Australien, UK und selbst USA schon lange so — die dortigen kürzeren Abschlüsse, selbst apprenticeships können für Studiengänge dort angerechnet werden – so verkürzt man auch Bildungszeiten — in DE hingegen fängt man immer wieder bei 0 an!

    meine Berufsausbildung würde in UK voll angerechnet werden im dortigen NQF und ich könnte im selben Bereich in nur 4 Semestern den Bachelor fertigstellen – zur selben Zeit gibt es in DE für meinen Beruf nicht mal einen selbst wählbaren weiterführenden Abschluss und anerkannt und angerechnet wird erst recht NICHTS .

    ich kann mich also im Ausland wie UK besser weiterbilden als im eigenen Lande, wo mein eigener Abschluss NICHTS zählt und nicht als weiterführend anerkannt wird.

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