Wissen Sie, wie viele junge Frauen jährlich eine Ausbildung zur Kfz-Mechatronikerin beginnen?

Und wie viele junge Männer Medizinischer Fachangestellter werden wollen?

Jahr für Jahr veröffentlicht das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) eine Rangliste der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge. Und jedes Jahr fallen vor allem zwei Tatsachen ins Auge. Mädchen und Jungen konzentrieren sich auf die immer gleichen Berufe. Und offenbar bleiben sie unter ihresgleichen – auch wenn durchaus leichte Fortschritte zu verzeichnen sind.

Der Anteil der Kfz-Mechatronikerinnen bei den Neuabschlüssen im Jahr 2016 liegt bei 4,3 Prozent. Der Anteil der männlichen Medizinischen Fachangestellten beträgt 2,3 Prozent. Diese beiden Berufe stehen beispielhaft für viele andere, bei denen die Aufteilung der Geschlechter ähnlich ist. Bei der Wahl der Studiengänge sieht es nicht wesentlich anders aus.

Offenbar ist es immer noch so, dass die Berufs- und Studienwahl von Rollenvorstellungen und Geschlechterzuweisungen bestimmt wird. Weshalb ist das problematisch? Die Berufswahlentscheidung nach überkommenen Mustern hat gleich mehrere Nachteile auf unterschiedlichen Ebenen:

  • Die Berufs- und Studienwahl wirkt sich ganz entscheidend auf die eigene Zufriedenheit, ja sogar auf das persönliche Glück aus. Insofern ist es von großer Bedeutung, sich nicht von Geschlechterrollen leiten zu lassen, sondern den eigenen Interessen und Neigungen zu folgen.
  • Die Berufs- und Studienwahl junger Frauen und Männer hat auch gesellschaftliche Konsequenzen. Oder andersherum: Eine geschlechtersensible Berufs- und Studienwahl hat eine eigenständige Existenzsicherung über den gesamten Lebensverlauf im Blick. Die Frage der eigenständigen Existenzsicherung wirkt sich unmittelbar auf das Zusammenleben von Menschen aus.
  • Last but not least hat die Berufs- und Studienwahlentscheidung wirtschaftliche Auswirkungen. Deutschland braucht junge Menschen, die ihre Fähigkeiten unter Berücksichtigung ihrer Lebensentwürfe bestmöglich einsetzen. Wenn jeder und jede, unabhängig vom Geschlecht, seinen bzw. ihren Stärken folgt – und nicht Klischees – kann das Land den Bedarf an Fachkräften sichern.

Nun gibt es seit Jahren Projekte, die am oben geschilderten Zustand etwas ändern möchten. Recht bekannt dürfte der Girls’Day sein, ein einmal im Jahr stattfindender Aktionstag, der Mädchen und Frauen motivieren soll, technische und naturwissenschaftliche Berufe zu ergreifen. Als Pendant zum Girls’Day gibt es seit 2011 den Boys’Day.

Über diese Aktionstage hinaus gibt es zahlreiche weitere Projekte und Initiativen, etwa „Komm, mach MINT“, den nationalen Pakt für Frauen in MINT-Berufen. Oder das Projekt „Soziale Jungs“, das es Schülern in Frankfurt ermöglicht, sich in einer sozialen Einrichtung zu engagieren.

Was bisher fehlt, ist ein Bündeln und Sichtbarmachen dieser Einzelmaßnahmen. Eine gemeinsame, landesweite Anstrengung und Vernetzung aller am Berufswahlprozess beteiligten Akteure. Genaue hier setzen die „Nationalen Kooperationen zur Berufs- und Studienwahl frei von Geschlechterklischees“ an.

Hervorgegangen ist die Initiative aus dem Expertinnen- und Expertenkreis „Geschlechtergerechte Studien- und Berufswahl“, der 2014 durch das Bundesministerium für Familie, Senoren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ins Leben gerufen wurde. Drei Jahre später hat dieser Kreis als sogenanntes „Ständiges Forum“ eine gesellschaftspolitische und auch wissenschaftliche Beiratsfunktion innerhalb der Initiative inne, deren zentrale Rolle allerdings den Mitgliedern bzw. Partnerinnen und Partner zukommt.

Welche Ziele verfolgt die Initiative über die Vernetzung der Akteure inhaltlich?

  • Junge Menschen sollen bei der Wahl der Ausbildung oder des Studienfachs auch Bereiche und Berufe in Betracht ziehen, in denen das andere Geschlecht überrepräsentiert ist.
  • Alle, die am Berufswahlprozess beteiligt sind, sollen Jungen und Mädchen dabei unterstützen, eine Wahl zu treffen, die zu ihren individuellen Potenzialen und Stärken passt.
  • Jungen Frauen wie Männern sollen Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie sie ihre Berufswünsche auch langfristig realisieren können.
  • Ebenso wichtig sind Informationen zu den Aspekten Arbeitszeit, partnerschaftliche Vereinbarkeit von Beruf und Familie /Privatleben, Verdienst sowie Karrierechancen und Zukunftsfähigkeit.

Nur wenn junge Menschen über alle Informationen zu Ausbildungsbereichen, Berufen und Studienfächern verfügen, um das gesamte Spektrum der Berufe wissen und ihre Stärken und Potenziale kennen, können sie eine Entscheidung treffen, die ihnen selbst gerecht wird. Das kann bei Jungen selbstverständlich der Kfz-Mechatroniker sein und bei Mädchen die Medizinische Fachangestellte. Es kann aber eben auch der Erzieher und die Ingenieurin sein.

Begleitet wird die Initiative durch eine unterstützende Vernetzungs- und Kommunikationsstruktur. Dazu gehört eine jährliche Fachtagung und vor allem das Webportal klischee-frei.de.

Das Portal bietet Anregungen und Beispiele guter Praxis für klischeefreie Berufsorientierung, exklusive Faktenblätter zur Berufs- und Studienwahl, praktische Arbeitshilfen für die tägliche Arbeit mit Jugendlichen und Kindern, Beratung zur Gestaltung und Begleitung klischeefreier Berufsorientierung, Fachartikel, aktuelle Studien und nicht zuletzt Veranstaltungstipps. Klischee-frei.de macht die Vernetzung der einzelnen Akteure im Berufswahlprozess möglich.

Einen Mehrwert für alle am Berufswahlprozess junger Menschen Beteiligten bieten Webportal und Initiative aber vor allem dann, wenn möglischt viele sich auch an der Initiative anschließen. Auf diese Weise profitieren Mitglieder vom Wissen anderer und können ihre eigenen Erfahrungen einbringen. Je größer das Netzwerk, umso größer der Nutzen. Zudem machen Organisationen und Unternehmen mit einer Mitgliedschaft deutlich: Uns liegt Berufsorientierung frei von Geschlechterklischees am Herzen!



Kommentare

  1. / von Nordisch

    im dualen System in DE werden Geschlechtsstereotypien weitgehend perpetuiert und ständig reproduziert. Z.B. hat man vor allem Frauenberufe karriereärmer gestaltet sehr oft.

    Was ist denn z.B. der Fortbildungsabschluss bei den medizinischen oder zahnmedizinischen Assistentinnen…. ??

    warum z.B. sind solche Ausbildungen nicht schon anrechenbar auf das Studium Zahnmedizin oder Medizin, z.B. in dem man dafür Credit points bekommt wie im Ausland.

    im Ausland gibt es Studiengänge wie Oral Health oder Dental Hygiene mit erweiterten Kompetenzen, man kann da durchaus zw. Studiengängen wechseln und Credit points bereits anrechnen lassen – dazu stand mal auf einer australischen Universitätsseite das Leitziel „das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Teamarbeit“ , deshalb werden auh alle im Team ausgebildet hochschulisch.

    wenn man sich in DE mal die Berufsausbildungen ansieht, dann stellt man fest, dass DE Frauenberufe auch eher karrierearmer lässt – da fehlen einfach Entwicklungsmöglichkeiten, die es im Ausland bereits gibt.

    Dentalhygieniker können anderswo selbständig werden und eigene Praxen eröffnen z.B.

    betrachten wir nun die Aufstiegsfortbildungen in DE, so fällt doch auch auf, dass Frauen dort eher benachteiligt sind, nicht nur wg. den hohen Kosten werden die seltener in Anspruch genommen, ich denke, auch die Zugangsmöglichkeiten sind in Wirklichkeit geringer oder weniger vorhanden.

    selbst bei Weiterbildung geraten Frauen eher ins hintertreffen, das ist nicht nur eine Zeit- oder Geldfrage, sondern auch die Frage, wie strukturiert wird sowas überhaupt angeboten

    in anderen Ländern – wo alle Bildungsgänge fest ins Bildungssystem stufenweise integriert sind und auch Ausbildungen Credit points erhalten (oder Certificate und Diplome), da kann man sich viel besser fortbilden, weiterbilden als in DE — ich finde DE nicht besonders weiterbildungsfreundlich — darunter leiden dann karriereärmere Frauenberufe im besonderen Maße.

    ich selbst habe ja mehrere Berufe in DE gelernt und studiert — in dem einen Beruf von mir, könnt ich mich bis HEUTE nicht selbst weiterbilden , fortbilden relevanten Abschlüssen, die auch wirklich weiterführend wären. Das sagt doch schon alles über das Bildungsystem aus – auch ein Beruf, der eher von Frauen gewählt wird mittlerweile.

  2. / von Nordisch

    die Berufsorientierung in den deutschen Schulen war schon immer lächerlich… im Endeffekt werden einem immer nur die ca 10 selben Berufe präsentiert — das sind dann nachher auch die Standardberufe, die zu den 10 meist gewählten Ausbildungsberufen gehören im Regelfall mit oft nur kleinen Abweichungen

    in DE greift man viel zu stark in die Berufsfindung ein, weil man Berufe hier iin altmodischer Art und Weise als lebenslänglich definiert. DE hängt zu stark an Erstausbildung und lebenslänglichem Beruf, der nur einmalig ausgewählt werden soll. Andere Systeme sind viel moderner und berufsoffener und ein Leben lang zugänglich.

  3. / von Nordisch

    Das duale System in DE setzt auch zu stark auf “ nur abhängig Beschäftigte“ — ich habe in anderen Ländern ein anderes Leitbild für Bildung gefunden „there are no barriers to become self-employed“

    DE muss Bildung stärker so entwickeln, dass es selbstregulierend wahrgenommen werden kann und dass auch von Anfang an Wege in Selbständigkeit hergestellt werden — in DE gilt das Leitbild des abhängig Beschäftigten und genauso sieht das System auch aus an allen Stellen — alles nur für die Arbeitgeber

    es muss mehr um den Menschen gehen, der etwas lernt – selbstreguliertes Lernen, mehr Fortbildungen statt nur Erstausbildung im Lebensberuf — zu Fortbildungen gehören dann auch offene Kurse hin zu anderen Berufen, Ergänzungskurse, Transferkurse für Übergänge in Selbständigkeit, andere Berufe, Studium etc…. so wie in anderen Ländern das passiert.

    wir bilden hier nur abhängig Beschäftigte aus – Ziel sollen Menschen sein, die ihren eigenen Beruf immer neu konstruieren, erweitern oder ändern können. Das halte ich für Zeitgemäßer, v.a. bei Strukturwandel am Arbeitsmarkt.

    das System in DE ist unmodern

Kommentar verfassen