K(Eine) schwierige Angelegenheit – so gelingt der Aufstieg durch Bildung (2/2)
Wie sollte eigentlich das perfekte Bildungssystem aussehen? Doch so, dass jeder, der bereit ist, sich in angemessenem Maße anzustrengen, auch die Chance erhält, durch Bildung aufzusteigen.
In unserem Bildungssystem ist das oft nicht der Fall. Aufstieg durch Bildung ist eher die Ausnahme als die Regel. Die Bildungsschere, die sich durch alle Ebenen des Systems zieht, hält immer noch zu viele davon ab, durch Bildung weiter zu kommen. Dennoch gibt es sie, die Bildungsaufsteiger. Eine Tagung der Sektion Bildung und Erziehung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Juni 2016 bot interessante Einblicke in das Phänomen Bildungsaufstieg. In zwei Blogbeiträgen stelle ich die interessantesten Ergebnisse der Tagung vor: Erstens die die verschiedenen Phasen von Bildungsaufstiegen (1/2) und zweitens die Typen von Bildungsaufsteigern (2/2).
Drei Typen von Bildungsaufsteigern: Der Entdecker, der Backpacker und der Auswanderer
Ein sozialer Aufstieg durch Bildung ist oft durch Streben, Schweiß und Scheitern gekennzeichnet, zumindest, solange man der an Bourdieu orientierten soziologischen Theorie glaubt. Thomas Spiegler von der Theologischen Hochschule Friedensau hat sich genauer angeschaut, welche Faktoren Bildungsaufstiege ermöglichen. Er fand heraus, dass Aufstieg vielfach mit hoher Anstrengung sowie vielfachen Erfahrungen des Scheiterns verbunden ist. So laufen Bildungsaufsteiger mehr als andere Gefahr, die eigenen Ressourcen falsch zu investieren und ihre Anstrengungen in wenig zielführende Aktivitäten zu stecken. Gleichzeitig zeichnen seine Analysen ein differenzierteres Bild vom Bildungsaufsteiger: Es gibt nicht den einen, sondern mindestens drei Typen von Bildungsaufsteigern. Alle Typen gemeinsam ist, dass bei ihnen drei Aufstiegsbedingungen zusammenkommen: Können, Wollen und Dürfen. Mit „Können“ ist das Potenzial bezeichnet, das eine Person zur Bewältigung des Aufstiegs mitbringt. Kognitive Ressourcen gehören dazu ebenso wie soziales und finanzielles Kapital. „Wollen“ bezeichnet die Motivation einer Person durch Bildung weiterzukommen, aber auch die teils diffusen Hoffnungen, die jemand mit Bildung verbindet. Der Begriff „Dürfen“ verweist schließlich auf die Möglichkeitsräume, die für Bildung zur Verfügung stehen. Das fördernde wie behindernde Verhalten des sozialen Umfelds ist damit genauso gemeint wie die institutionellen Gelegenheitsstrukturen, die sich durch einfach oder schwierig zugängliche Bildungsinstitutionen aufspannen. Die drei Typen von Bildungsaufsteigern unterscheiden sich in der Art wie sich Können, Wollen und Dürfen im Lebenslauf zeigen. So lassen sich schließlich Entdecker, Backpacker und Aussteiger voneinander unterscheiden – die ihren Aufstieg durch Bildung auf je eigene Art und Weise schaffen.
Mit dreifacher Absicherung ans Ziel – der Entdecker
Am einfachsten hat es der Entdecker, oder Expeditionsteilnehmer. Er kann, will und soll durch Bildung aufsteigen. Ein gutes Beispiel für diesen Typ findet sich oft in der zweiten Generation von Migranten. Ihre Eltern wollen vielfach, dass es ihre Kinder besser haben. Daher stellen sie – auch bei schwieriger Ressourcenlage – genügend Mittel für die Bildung ihrer Kinder bereit. Deren Lebenslauf wird dadurch zur oft im Voraus geplanten Expedition in zwar kartiertes aber dennoch unbekanntes Terrain. Schließlich war noch niemand aus der eigenen Familie im Gymnasium oder an der Hochschule. Klar ist aber, dass der Lebensweg des Kindes genau diesen Weg nehmen soll. Die großen Hoffnungen, die mit Bildung verbunden werden, führen auch auf Seiten des Kindes zum Wunsch, sich zu bilden. Ein positiver persönlicher Antrieb, ausdrückliche Unterstützung aus dem familiären Umfeld, verbunden mit der durchaus verbindlichen Erwartung, dass die Expedition erfolgreich sein wird, bilden so die besten Voraussetzungen dafür, dass der Bildungsaufstieg auch gelingt.
Gelegentlich ziellos aber heiter – der Backpacker
Ähnlich zuversichtlich wie der Entdecker ist auch der Backpacker, wenn es um den Aufstieg durch Bildung geht. Auch er kann und darf aufsteigen. Allerdings weiß er selbst nicht so genau, ob das Ganze eigentlich Sinn macht. Ein Backpacker wird daher dann zum Bildungsaufsteiger, wenn er einen Antrieb für weitere Bildungsanstrengungen findet. Dieser fehlt zu Beginn des Bildungsaufstiegs noch, sei es, weil Bildung in seinem sozialen Umfeld keinen Nutzen beigemessen wird, weil ihn der scheinbarer Wert von Bildung nicht überzeugt, oder aber, weil er vorhandene Ressourcen lieber in andere Aktivitäten als Bildung steckt. Salopp gesagt, findet man den Backpacker solange am Strand liegen, bis an seinem Horizont ein Ziel erscheint, das erstrebenswert ist. Eine besondere Rolle spielen dabei Vorbilder, die Katalysatoren eines möglichen aber bislang unrealisierten Bildungsprozesses sein können. Man denke nur an die Bedeutung, die etwa Fußballgrößen haben, wenn es darum geht, Jugendliche zu sportlichen Aktivitäten zu motivieren. Sobald dann der Wunsch etwas „auch“ zu können oder zu machen entstanden ist, hat der Backpacker beste Voraussetzungen durch Bildung im Leben weiter zu kommen.
Eine unmögliche, aber aussichtsreiche Affäre – der Aussteiger
Der Aussteiger hat es schwerer als Entdecker und Backpacker. In einigen Fällen kann und will er sich weiterbilden, darf aber nicht. Er muss sich also durchsetzen, um sich zu bilden. Dies geht nicht selten mit einer Abgrenzung oder sogar einem Bruch zum Herkunftsmilieu einher. Manchmal könnte er sich zwar bilden, will und darf es aber nicht. Warum sollte er also? Und in wieder anderen Fällen kann, will und darf er sich nicht bilden. Trotzdem gelingt auch diesen Personen ein Bildungsaufstieg. Wie kann das sein? Wenn jemand etwas nicht kann, will oder darf, braucht es einen besonderen Anreiz, um den Aufstieg durch Bildung zu wagen. Und genau ein solches „Erweckungserlebnis“ kennzeichnet die Lebensläufe der Aussteiger. So sind es etwa besondere Begegnungen, Aha- oder Schockerlebnisse oder große Umwälzungen in ihrer sozialen Umwelt, die sie aus der Bahn werfen. Dachten Sie vorher noch, ein Bildungsaufstieg wäre nicht möglich und sinnvoll, so bringt dieses Ereignis sie zum Umdenken. Ein gutes Beispiel dafür findet sich vielfach bei sogenannten Geringqualifizierten. Durch negative Erfahrungen mit Bildung in Kindheit und Jugend, einer gegenüber Bildung teils feindlich eingestellten sozialen Umwelt und fehlenden Nutzenerwartungen bezogen auf Bildung können, wollen und dürfen sie sich oft nicht weiterbilden. Bis irgendwann im Leben die Erfahrung gemacht wird, dass man selbst „gar nicht so dumm, sondern sogar ziemlich intelligent“ ist – wie es eine Person formuliert. Ist diese Einsicht angekommen, steht auch dem Bildungsaufstieg des Aussteigers nichts mehr im Wege.
Wenn aus Pflicht Kür wird, ist der Aufstieg wirklich geschafft
Bildungsaufstiege sind nicht die Norm, sondern die Ausnahme. Aber sie können gelingen. Dennoch ist der Weg nach oben, gerade von weit unten schwer. Unser aktuelles Bildungssystem bietet im Moment noch viel zu wenige Unterstützungsmöglichkeiten für Aufsteiger aus bildungsfernen Milieus. Sie könnten dazu beitragen, den Weg, den Bildungsaufsteiger bisher mit hohem Einsatz an Willenskraft und persönlichen Ressourcen gehen, zu vereinfachen. Dennoch, so ein Fazit der Tagung in Essen, haben Bildungsaufsteiger einen ganz entscheidenden Motivationsvorteil: Dort, wo der Weg für andere erst anfängt, haben sie bereits die Hälfte der Strecke hinter sich. Jeder weitere Schritt ist sozusagen ein freiwilliges Aufspielen, Kür statt Pflicht. Diese oft große Leistung von Bildungsaufsteigern sollte stärker ins Bewusstsein gehoben werden. Nicht nur, weil ihre Leistung Anerkennung verdient, sondern auch weil ihre Lebensgeschichten andere zum Aufstieg durch Bildung motivieren kann.
Informationen und spannende Analysen zum Thema Bildungsaufsteiger finden sich in folgenden Publikationen:
- El-Mafaalani, Aladin (2012): BildungsaufsteigerInnen aus benachteiligten Milieus. Habitustransformation und soziale Mobilität bei Einheimischen und Türkeistämmigen. Wiesbaden: Springer VS.
- Spiegler, Thomas (2015): Erfolgreiche Bildungsaufstiege. Ressourcen und Bedingungen. Beltz Juventa
Kommentare
Interessant ist, dass dieses Thema zwar von Bildungswissenschaftlern und Soziologen bearbeitet wird, in der Psychologie aber relativ selten Thema ist. Ich versuche diese Lücke in meiner Masterarbeit ein wenig zu verkleinern und suche dazu noch Studierende aus Nicht-Akademiker-Familien. Zur Studie geht es hier:
http://chakraverty.de/schack/bildungschancen-und-selbstbild-von-studierenden/