Digitalisierung der Bildung: Keine technische sondern eine kulturelle Frage

Wie können Institutionen und Lehrende aus dem Bereich Weiterbildung eigentlich erkennen, ob sie für die „Digitalisierung“ richtig aufgestellt sind? Reicht es aus, wenn man sich zur besseren Erreichbarkeit im beruflichen Kontext ein Smartphone zulegt? Muss man als Institution in neue PCs oder besser Tablets investieren? Welche Software muss dann eingesetzt werden und wie erkenne ich, ob diese überhaupt pädagogisch sinnvoll ist? Wie gehe ich als Lehrender oder als Institution mit der Software und Hardware um, die meine Lernenden selbstständig anwenden oder mitbringen? Und schließlich (man ahnt es) die zentrale Frage: Geht es vielleicht weniger um einen technischen als vielmehr um einen kulturellen Wandel beim Einsatz dieser Hilfsmittel?

Mit einem Teil dieser Aspekte hatte sich Gunter Dueck bereits im Jahre 2011 auf der re:publica 2011 befasst und in seiner bemerkens- und immer wieder sehenswerten Keynote mit einem Augenzwinkern diskutiert.

Wir beschäftigen wir uns vor dem Hintergrund dieser Thematik zur Zeit u.a. mit dem Aufbau eines Selbsteinschätzungs-Tools für europäische Weiterbildungsanbieter, das genau diese Fragen adressieren soll. Weiterbildner sollen so die Möglichkeit bekommen, sich durch das Tool ein Bild vom Stand der eigenen digitalen Infrastruktur und deren pädagogischen Sinnhaftigkeit zu machen.

Darüber hinaus wäre es aber natürlich – nicht zuletzt für Politik und Bildungsinstitutionen – äußerst wichtig und interessant, einen Eindruck von der digitalen Versorgung des gesamten Bildungssystems in Deutschland zu bekommen. So stellt eine aktuelle von EU-Kommissarin Neelie Kroes vorgestellte Studie der EU-Kommission aus dem Jahre 2013 zwar fest, dass der Einsatz von digitalen Tools sowohl in den Schulen als auch den Universitäten bisher unzureichend sei; die o.g. Fragen, die über die quantitative Nutzung von PCs hinausgehen, werden allerdings (noch) nicht beantwortet. Trotzdem ist es immens wichtig, mit solchen ersten Zahlen auf das drängende Problem aufmerksam zu machen, dass der Kontext von Digitalisierung und Bildung absolut essenziell für die Sicherung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit ist. Dies gilt natürlich umso mehr in den Ländern der EU, in denen in den nächsten 20 Jahren die Alterung der Gesellschaft zu Ressourcenproblemen führen wird; Bildung und die Renten werden um diese sinkenden Ressourcen konkurrieren müssen. Umso wichtiger ist es, sich Gedanken zum Stand der digitalen Versorgung an Schulen, Universitäten, Volkshochschulen und anderen Bildungsinstitutionen hierzulande zu verschaffen.

Im Bereich unserer (Weiter-)Bildungsprojekte konzeptionieren wir deshalb derzeit einige Studien, die sich sowohl mit der hiesigen digitalen Versorgung von Bildungseinrichtungen beschäftigen als auch untersuchen sollen, wie die Digitalisierung zur Steigerung der Teilhabe an und Qualität von Bildung beitragen kann. Dabei stehen folgende Aspekte im Mittelpunkt unseres Interesses:

  • Welches genau in der Stand der digitalen Infrastruktur in den untersuchten Bildungsbereichen?
  • Welche Wechselwirkung zwischen digitaler Infrastruktur und Methoden und Formaten des Lernens ist dort zu beobachten?
  • Wie kann mit digitalen Tools eine Benachteiligung von Menschen beim Zugang zu Bildung abgebaut werden?
  • In welcher Weise verändert die Nutzung von digitalen Tools die Rollen und das Selbstverständnis von Lehrenden und Lernenden?
  • Wie wird sich die Digitalisierung auf die Systeme der Zertifizierung und Formalisierung von informellen Lernen auswirken?
  • Wie kann die Entwicklung hin zur qualitativ hochwertigen Digitalisierung der Bildung unterstützt werden?

Als Ergebnis der Studie, die die Schulen, Aus- und Weiterbildungsinstitutionen, Hochschulen und Konzepte des Lebenslangen Lernens betrachten wird, wollen wir Best-Practices und Handlungsempfehlungen anbieten sowie die Daten der Untersuchung allen Interessierten und Entscheidern zur Verfügung stellen und damit einen Beitrag zur produktiven Digitalisierung der Bildungssysteme in Deutschland leisten.

Für mich persönlich wird besonders der Aspekt des Umgangs der traditionellen Entscheider und Lehrenden mit der Herausforderung der Erosion alter Rollenbilder spannend sein. Wie in den meisten anderen Bereichen der Digitalisierung auch, ist es die Tendenz zur Demokratisierung und Offenheit und Partizipation, die das Bildungssystem wahrscheinlich am stärksten herausfordern wird. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die „Bring Your Own Device„-Politik auch in der Bildung Einzug halten wird, und die Kontrolle der Methoden und Tools dann den Lehrenden zu entgleiten droht. Der globale Zugang zu Wissen lässt viele heute genutzte Schulbücher mehr als anachronistisch aussehen. Welche Rolle spielen deutsche Zertifikate noch, wenn der Zugang zu weltweiten Arbeitsmärkten diese Zertifikate gar nicht mehr voraussetzt, wenn das im Netz sichtbare Wirken sehr viel relevanter wird als ein bedrucktes Stück Papier? Positiv betrachtet: Wie kann die Digitalisierung durch Lernende und Lehrende am besten für die eigenen Ziele genutzt werden?



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