Berufliche Integration der Geflüchteten ist neue Herkulesaufgabe
Es ist ein Kraftakt ohnegleichen. Innerhalb kürzester Zeit haben die Bundesländer berufliche Bildungsangebote für eine enorme Zahl an Schutz- und Asylsuchender geschaffen. Diese Energieleistung ist bemerkenswert. Kein einziges Bundesland lässt es an Engagement vermissen, die berufliche Integration der Geflüchteten zu fördern – weder finanziell, noch konzeptionell. Allerdings bestehen zwischen den Bundesländern erhebliche Unterschiede.
Der Ländermonitor berufliche Bildung 2017 vergleicht deshalb die neu geschaffenen oder ausgeweiteten Angebote im jeweiligen Übergangssystem der 16 Bundesländer. Denn in diesen startet ein Großteil der Geflüchteten im ausbildungsfähigen Alter. Die große Herausforderung für die beruflichen Schulen oder andere Maßnahmenträger wie die Bundesagentur für Arbeit besteht darin, dass fast alle Schutz- und Asylsuchenden für eine erfolgversprechende Berufsvorbereitung sowohl eine intensive Sprachförderung als auch berufsnahe und -praktische Erfahrungen brauchen, ganz zu schweigen von lebensweltlicher Unterstützung. Die Komplexität der Aufgabe junge Menschen in Ausbildung zu bringen ist damit nochmals höher als bei anderen Gruppen wie Hauptschülern und Jugendlichen mit Behinderungen, die ebenfalls häufig nur über Umwege in Ausbildung gelangen.
Zahl ausländischer Neuzugänge im Übergangssystem verdoppelt
Die neue Herausforderung erwischt das Übergangssystem in einer Reform- und Schrumpfungsphase. Die Maßnahmen, die Jugendliche ohne Lehrstelle für den Ausbildungsmarkt fit machen sollen, galten in ihrer Vielzahl als unübersichtlich und bezogen auf Anschlussperspektiven uneffektiv. Seit einigen Jahren haben etliche Bundesländer ihr Übergangssystem reformiert und u. a. stärker an Abschlüssen orientiert. Das entfaltete Wirkung: Von 2007 bis 2013 sank der Anteil der Jugendlichen, die eine Maßnahme im Übergangsbereich begannen, von weit über 30 auf 26,5 Prozent. Und jeder Vierte im Übergangssystem holt dort inzwischen einen Schulabschluss nach.
Nun wächst das Übergangssystem wieder. Das ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass sich die Zahl ausländischer Anfänger im Übergangssystem nahezu verdoppelt hat: Von gut 50.000 in 2014 auf fast 100.000 in 2016. Ein weiterer Anstieg erscheint wahrscheinlich, denn in der Altersgruppe zwischen 16 und 30 Jahren nahm die Zahl der registrierten Ausländer in diesem Zeitraum um 425.000 zu. Das bedeutet einen Zuwachs um 262 Prozent. Drei von vier Neuankömmlingen stammen dabei aus den Kriegs- und Krisengebieten in Syrien, Afghanistan und Irak. Wollen sie eine Chance auf dem deutschen Arbeitsmarkt haben, brauchen diese Menschen eine umfassende Berufsvorbereitung.
Den Osten trifft die Aufgabe vergleichsweise unvorbereitet
Diese Aufgabe trifft die Übergangssysteme in den östlichen und westlichen Bundesländern unterschiedlich. Im Osten steigt der Ausländeranteil zwar relativ gesehen stärker an allerdings von niedrigem Niveau kommend. So hat sich dort zwischen 2014 und 2016 der Ausländeranteil an Neuzugängen im Übergangssektor von 5 auf 29 Prozent erhöht. Der zuvor niedrige Ausländeranteil bedeutet: Die östlichen Bundesländer waren kaum vertraut mit den didaktisch-methodischen und pädagogischen Herausforderungen im Umgang mit kultureller Vielfalt. Es fehlte an Infrastruktur von kombinierten Sprach- und Berufsvorbereitungsmaßnahmen bis zu sozialpädagogischen und psychologischen Beratungs- und Unterstützungsangeboten.
Im Westen hingegen lagen erheblich mehr Erfahrungen in der Berufsvorbereitung von Ausländern vor. Dort stellen vor allem die absoluten Zuwachsraten das Übergangssystem vor Probleme, denn der Integrationsaufwand ist enorm. Dies gilt insbesondere für die Stadtstaaten, wo der Anteil ausländischer Anfänger im Übergangssystem von 27 auf 47 Prozent stieg. Zugleich lassen diese Zahlen auch die soziale Sprengkraft erahnen, sollte eine berufliche Integration nicht gelingen.
Jedes Land schnürt sein eigenes Maßnahmenpaket
Umso wichtiger ist die Frage, mit welchen Konzepten sich die Länder der Herausforderung stellen. Ein Vergleich der 16 Maßnahmenpakete zeigt zunächst: Jedes Land geht seinen eigenen Weg. Die Maßnahmen für die Geflüchteten unterscheiden sich in Altersgrenze, Dauer, Inhalten und Zielen. Gemeinsam ist Ihnen lediglich, dass sie eine intensive Sprachförderung mit berufsorientierenden und lebensweltlichen Inhalten zu Beginn der berufsvorbereitenden Klassen vorsehen.
Während Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz die Angebote für Jugendliche allerdings nur bis 18 Jahre öffnen, bieten Bayern, Hessen und Niedersachsen berufsvorbereitende Maßnahmen für Jugendliche bis zum 21. Lebensjahr an. In Nordrhein-Westfalen bestehen zudem Öffnungsklauseln bis zum 25. bzw. 27. Lebensjahr, die in Einzelfällen auch für Bayern und Sachsen gelten. Klar wird, dass die unterschiedlichen Angebote und Schulgesetze der Länder zu ungleichen Ausbildungschancen beitragen.
Aus Erfahrungen lernen: Duale Konzepte aus Allgemeinbildung und Berufspraxis
Vor allem in jenen Bundesländern, die über einen Erfahrungsvorsprung bei der beruflichen Integration von Ausländern verfügen und ebenso bei Reformbemühungen in der berufsschulischen Ausbildungsvorbereitung von sozial benachteiligten Jugendlichen, finden sich eher komplexere, meist zweijährige Angebote für Geflüchtete. Eine starke Verzahnung zwischen allgemeinbildenden und berufspraktischen Inhalten im Sinne eines dualen Konzeptes ist dabei in Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig- Holstein zu erkennen. So verfolgt Hamburg etwa seit Februar 2016 nach einer mehrmonatigen Sprachförderungsphase konsequent ein duales Konzept mit drei Tagen betrieblicher und zwei Tagen schulischer Ausbildungsvorbereitung.
Demgegenüber gibt es vielfach einjährige Maßnahmen, die zum Teil bei Bedarf wiederholt werden können. Nicht in allen Bundesländern liegen zudem curriculare Grundlagen vor. Dies führt dazu, dass es allein im Ermessen der Lehrkraft liegt, was wie und mit welchen Zielen unterrichtet wird.
Angesichts der großen Unterschiede in den Strategien und Konzepten der Länder sollte möglichst schnell kritisch hinterfragt und evaluiert werden, welche Maßnahmen den größten Erfolg versprechen.
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