Berufsausbildung in einer Einwanderungsgesellschaft (2/5)

Praxis gestalten — Berufsorientierung und Beratungsangebote

Allein mit einer ausreichenden Sprachbeherrschung ist es mit der Integration in den deutschen Arbeitsmarkt noch nicht getan. Für ein besseres Zurechtfinden bedarf es zusätzlicher Beratungsangebote und Maßnahmen der Berufsorientierung.

Was hat es damit auf sich?

Berufsorientierungs- und Beratungsangebote sollten idealerweise authentische Einblicke in die Arbeitswelt ermöglichen und gleichzeitig die Interessen und Begabungen der jungen Zuwanderer berücksichtigen. Zuwanderer benötigen für sie zugeschnittene Berufsorientierungs- und Beratungsangebote, da in der Regel weder sie selbst noch ihre Familien und Freunde Kenntnisse über das Berufsbildungssystem in  Deutschland besitzen und in vielen Herkunftsländern nichtakademische Bildungsgänge einen geringen Status haben. Bisher fehlt es noch an einem bedarfsdeckenden und konsistenten Beratungsangebot und auch die fehlenden Sprachkenntnisse der zu Beratenden stellen eine große Hürde dar. Hinzu kommt, dass konzeptionelle Beratungsgrundlagen für jüngere Geflüchtete vielerorts erst noch erarbeitet werden müssen.

Was gibt es bereits?

Aktuell wird die Beratung junger Geflüchteter vordergründig von der Bundesagentur für Arbeit und den Bundesländern getragen. Potenzialanalysen und anschließende Beratungsgespräche mit schulpflichtigen Geflüchteten werden bisher nach Konzepten der Kultusministerien der Bundesländer oder in Projekten des Berufsorientierungsprogramms des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) an allgemeinbildenden Schulen in den Klassen 7 und 8 umgesetzt.

Daneben fördert der Bund über Initiativen und Programme Beratungsprojekte. Darunter auch die Förderprogramme „Integration durch Qualifizierung“ und „Wege in Ausbildung für Flüchtlinge“. Bei dem erstgenannten Programm wird eine kostenlose Anerkennungs- und Qualifizierungsberatung angeboten.  Personen mit im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikationen haben dadurch die Möglichkeit, deren Gleichwertigkeit mit deutschen Berufsabschlüssen feststellen zu lassen. Bei der Initiative „Wege in Ausbildung für Flüchtlinge“ plant das BMBF in Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit und dem Zentralverband des Deutschen Handwerks bis 2018 rund 10.000 Geflüchtete in eine betriebliche Ausbildung im Handwerk zu führen. Diese Initiative richtet sich an junge, nicht mehr schulpflichtige Geflüchtete, die bereits einen Integrationskurs durchlaufen und eine erste Berufsorientierung im Handwerk erhalten haben.

Nicht nur der Bund, sondern auch einige Bundesländer haben eigene Konzepte zur Berufsorientierung und Berufsberatung entwickelt. Bremen setzt beispielsweise auf eine zweijährige Berufsorientierungsphase, welche eng mit Maßnahmen zum Spracherwerb verzahnt ist. Das erste Jahr dient dabei primär dem Spracherwerb, vermittelt aber auch schon Informationen über die Berufswelt und enthält für einige Teilnehmer betriebliche Praktika. Im Folgejahr sind solche Betriebspraktika dann verpflichtend. NRW glänzt gleich mit zwei Initiativen: „Projekt 18/25“ und „Kein Abschluss ohne Anschluss kompakt“. Das „Projekt 18/25“ richtet sich an nicht mehr schulpflichtige Zuwanderer im Altersbereich von 18 bis 25 Jahren, auch  an diejenigen ohne gute Bleibeperspektive. Seit dem Schuljahr 2016/17 können die Teilnehmer ein Berufskolleg besuchen, um einen zum Hauptschulabschluss gleichwertigen Schulabschluss zu erwerben. An dem Projekt „Kein Abschluss ohne Anschluss kompakt“ können sogar auch jüngere Geflüchtete ab dem 16. Lebensjahr teilnehmen. Der Fokus liegt dabei auf trägergestützte Praxisphasen, betriebliche Orientierung und Potenzialanalysen. Daneben wird auch ein umfangreiches mediales Angebot zur Berufsausbildung bereitgestellt.

In Ergänzung zum Bund und den Ländern haben sich darüber hinaus viele Kommunen und einige Verbände bereit erklärt, Aufgaben der Bildungs- und Berufsberatung für Geflüchtete zu übernehmen.

Was ist noch zu tun?

Bislang war die Berufsberatung für Zuwanderer vielfach von unvermeidbaren Anlaufschwierigkeiten geprägt. Die hohe Zahl der Beratungsaspiranten, sprachliche Verständigungsprobleme und die teils mühevolle Eingewöhnung erschwerten die Beratung. Durch Routinen und Eigenerfahrungen, die sich mittlerweile in vielen Beratungsstellen einstellen, werden solche Probleme nun immer besser gemeistert. Routinen und Eigenerfahrungen erleichtern bzw. beschleunigen zwar den Beratungsprozess, aber damit ist es noch nicht getan. Aus oft temporären und improvisierten Projekten heraus müssen langfristige und nachhaltige Berufsorientierungs- und Berufsberatungsstrukturen für junge Geflüchtete konzipiert werden. Insbesondere die Betriebe müssen hierbei zukünftig eine größere Rolle einnehmen.

Außerdem wäre es für die Verbesserung der Beratungsauthentizität förderlich, wenn Migranten in den Beratungsprozess eingebunden werden, denen bereits Berufseinstiege gelungen sind. Tagespraktika wären eine weitere sinnvolle Ergänzung, um zusätzliche Erfahrungen zu machen.

Abschließend muss bemängelt werden, dass bislang kein individuell angepasstes Beratungsangebot umgesetzt werden konnte. Das liegt vordergründig an einem Mangel an erfahrenen Beratern mit ausreichenden interkulturellen Kompetenzen, die souverän mit Sprach- und Kulturbarrieren umgehen können. Nur mit einem dafür ausreichend qualifizierten Fachpersonal können individuell angepasste Beratungsangebote auch erfolgreich umgesetzt werden.

Teil 1: Praxis gestalten – Sprache fördern



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