Reformprojekt Care Work

Die Arbeit in Pflege- und Gesundheitseinrichtungen, in der Betreuung und Alltagspflege sowie in Erziehungseinrichtungen und sozialpädagogischen Settings erfährt in den letzten Jahren zunehmend mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Zu Recht, denn die Bedeutung dieser Arbeiten für das gesellschaftliche Zusammenleben wurden lange Zeit zu wenig beachtet. Ganz aktuell verdeutlicht die Corona-Pandemie: Ein gutes Gesundheitssystem ist für uns alle existenziell! Es hat dramatische Folgen für eine Gesellschaft, wenn es nicht genug professionelle Gesundheits- und Pflegefachkräfte gibt.

Care Work bezeichnet alle Tätigkeiten, bei denen wir uns sorgend auf andere beziehen

Die Frage, ob wir und die uns nahestehenden Personen notwendige Hilfe und Betreuung erhalten oder nicht, ist aber auch unter Normalbedingungen existenziell. Wir sind soziale Wesen, die nicht unabhängig von anderen existieren könnten. Unser Leben hängt ganz wortwörtlich von zwischenmenschlicher Sorge füreinander ab – von klein auf bis ins hohe Alter. Für die Gesamtheit der pflegenden und betreuenden Arbeiten hat sich seit den 1990er Jahren der Begriff Care Work etabliert. Dieser Begriff umfasst sowohl entlohnte Berufsarbeit als auch private Sorgearbeit, die ohne finanzielle Entlohnung erbracht wird.

Besonderheit von Care Work ist historisch begründet

In der Moderne wurde die Erwerbsarbeit zunehmend aus dem häuslichen Umfeld ausgelagert und vom Privatleben getrennt. Care Work dagegen wurde und wird in erheblichem Maße privat in der Familie erbracht. Frauen leisten deutlich mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer. In einem am Erwerbssystem orientierten Sozialsystem werden sie deshalb systematisch benachteiligt. Um genau auf diese Ungerechtigkeit bzw. auf die gesellschaftliche Unsichtbarkeit von überwiegend durch Frauen geleistete Sorgearbeit hinzuweisen, wurde der Begriff Care Work eingeführt. Mittlerweile ist dieses Problem politisch anerkannt und wird regelmäßig von der Bundesregierung problematisiert.

Für die berufsförmig und bezahlte Care Work gibt es auf Deutsch den etwas sperrigen Begriff der personenbezogenen Dienstleistungen. Gemeint sind all die Tätigkeiten, die sich direkt auf einen anderen Menschen beziehen. Eine Besonderheit gegenüber anderen Berufsfeldern wie der Produktion von Gütern oder gegenüber handwerklichen Dienstleistungen ist, dass es kein vermittelndes Objekt zwischen Dienstleister*in und Kund*in bzw. Klient*in gibt. Die Arbeit wird direkt am anderen Menschen erbracht und wirkt sich unmittelbar auf dessen körperliches und/oder psychisches Wohlbefinden aus.

Eine weitere Besonderheit ist die gendercodierte Berufs- und Ausbildungsstruktur: Personenbezogene Dienstleistungen werden überwiegend von Frauen erbracht. Lange Zeit herrschte die Vorstellung, dass Frauen eine natürliche Begabung für Gesundheits- und Pflegeberufe, für Kinderbetreuung, Erziehung und Alltagspflege besäßen. Und auch heute noch begegnet einem diese Auffassung immer wieder.

Ausbildung für Care Work findet in einem separaten Bildungsteilsystem statt

Dadurch, dass Care Work überwiegend unbezahlt in der Familie erledigt wurde und den Frauen eine natürliche Begabung für das Erbringen von Care Work zugeschrieben wurde, kam es nicht zu einem mit dem gewerblich-technischen und kaufmännischen Bereich vergleichbaren Aufbau von Berufsbildungseinrichtungen im 19. und 20. Jahrhundert.

Stattdessen entwickelte sich in Deutschland parallel zum dualen System das sogenannte Schulberufssystem, in dem heute die meisten Berufsausbildungen für Care Work angeboten werden. Die wichtigsten Unterschiede sind:

  • Im Schulberufssystem gelten zahlreiche Ausbildungsordnungen nach Landes- oder Bundesrecht. Im dualen Ausbildungssystem gibt es stattdessen mit dem Berufsbildungsgesetz und der Handwerksordnung eine einheitliche Rechtsgrundlage.
  • Im Schulberufssystem fehlt ein Recht auf eine Ausbildungsvergütung.
  • Die Lehrkräftebildung für Gesundheitsschulen findet nicht wie sonst üblich an Universitäten statt.
  • Es findet kein vergleichbar aufwendiges und zuverlässiges statistisches Monitoring wie im dualen Ausbildungssystem statt.

Reformen führen zu Veränderungen von Care Work. Die verfügbaren Daten zu Entwicklungen des Schulberufssystems werden im Ländermonitor berufliche Bildung 2019 analysiert (Kapitel 5, S. 47 ff.). Dabei wird herausgearbeitet, dass es in den letzten zehn Jahren zwar einen starken Anstieg der Anfänger*innen in GES-Berufen (Gesundheit, Erziehung, Soziales) gab, der Fachkräftebedarf in diesen Berufsfeldern jedoch absehbar trotzdem nicht gedeckt werden kann.

Die Ausbildung oder Anwerbung von ausreichend vielen Fachkräften ist dabei nur eine Baustelle unter vielen. So wird beispielsweise mit der kürzlich eingeführten generalistischen Pflegeausbildung die Struktur der Ausbildungsgänge im Berufsfeld Pflege grundlegend verändert. Parallel dazu wurden in den letzten Jahren zahlreiche Studiengänge geschaffen, die eine akademische Erstausbildung ermöglichen.

Wie diese und weitere Entwicklungen die Berufs- und Ausbildungsstrukturen von Care Work mittelfristig verändern werden, ist derzeit noch nicht absehbar. Die Situation in den verschiedenen Berufsfeldern stellt sich im Detail sehr unterschiedlich dar. Gerade die gegenwärtige Offenheit der Entwicklung zeigt aber, dass es sich lohnt, sich gerade jetzt intensiv mit diesen Fragen zu beschäftigen.

Einen vertiefenden Einblick in die fachwissenschaftliche Diskussion im Berufsfeld Pflege, im Berufsfeld Gesundheit und Körperpflege, im Berufsfeld Ernährung und Hauswirtschaft sowie im Berufsfeld Soziale Arbeit und Sozialpädagogik bietet der Sammelband Reformprojekt Care Work. Professionalisierung der beruflichen und akademischen Ausbildung, den die Erziehungswissenschaftlerin Marianne Friese 2018 herausgegeben hat. In insgesamt 17 Beiträgen werden u. a. die historische Entwicklung und gegenwärtige Situation beschrieben, die Option der Akademisierung der Erstausbildung diskutiert sowie die Situation der Lehrkräfteausbildung beleuchtet.

Klar ist: Der Fachkräftemangel in Krankenhäusern, Altenheimen und Kindertagesstätten ist zu einem medialen Dauerbrenner geworden und wird uns auch in den nächsten Jahren begleiten. Klar ist auch: Ein Schlüssel für die Lösung dieser schwierigen Gemengelage liegt in der Neustrukturierung der beruflichen Ausbildung für Care Work. Das muss so geschehen, dass gleichzeitig die Versorgung des Systems mit ausreichend vielen Fachkräften, der Erwerb einer hohen Professionalität der Fachkräfte sowie gute Arbeitsbedingungen für die Fachkräfte gesichert werden.

Literaturhinweis: Friese, M. (Hrsg.). (2018). Reformprojekt Care Work. Professionalisierung der beruflichen und akademischen Ausbildung (Berufsbildung, Arbeit und Innovation, Band 50). Bielefeld: wbv.



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