Deutscher Weiterbildungsatlas: Ungleiche Versorgung mit Volkshochschulkursen

Die Volkshochschule ist eine der tragenden Säulen der Weiterbildung in Deutschland. Sie offeriert verschiedenste Weiterbildungen, die durch die Finanzierung der öffentlichen Hand für die Teilnehmer verhältnismäßig günstig sind. Das macht das Angebot auch für ökonomisch schlechter gestellte Personen zugänglich. Allerdings sind die Angebote der Volkshochschulen nicht überall gleichermaßen verfügbar. So gibt es im Westen deutlich mehr öffentliche angebotene Volkshochschulkurse als im Osten. Nun stellt sich die Frage, ob die ostdeutsche Bevölkerung dadurch benachteiligt ist.

Die letzten Beiträge zum Deutschen Weiterbildungsatlas befassten sich mit den Teilnahmequoten der Regionen und der Frage, ob diese tatsächlich gemessenen Teilnahmequoten den statistisch zu erwartenden entsprechen. Zur Berechnung dieser statistisch erwarteten Teilnahmequoten wurden Merkmale der Regionen hinsichtlich ihrer Sozial-, Wirtschafts- und Infrastruktur berücksichtigt. Nun kann die regionale Teilnahmequote nebst dieser Merkmale aber auch in dem Weiterbildungsangebot vor Ort begründet sein. Eine hohe Teilnahmequote könnte sich demnach auf ein stark ausgebautes Angebot zurückführen lassen. Der Deutsche Weiterbildungsatlas betrachtet daher auch explizit die Angebotsseite der Weiterbildungslandschaft, um dieser Frage nachzugehen. Dieser Blogbeitrag zu der ersten der drei betrachteten Angebotsdimensionen thematisiert die regionalen Unterschiede bei der Anzahl der öffentlich angebotenen VHS-Kurse und deren Bedeutung für die Weiterbildung in Deutschland.

Im Westen mehr als doppelt so viele Kurse wie im Osten

Die über 900 Volkshochschulen der Republik haben zwischen 2007 und 2011 im Schnitt 6,7 Kurse pro 1000 Einwohner angeboten. Das Angebot ist allerdings nicht gleich verteilt. Die regionale Aufschlüsselung zeigt sich ein deutliches West-Ost-Gefälle. Die Werte der Regionen im Osten liegen bei durchschnittlich 3,11 Kursen und allesamt unterhalb des Bundesschnittes. Im Westen hingegen liegt der Durchschnitt bei 7,7 Kursen, was einen ganzen Kurs über dem Bundesschnitt liegt. Diese bis heute sichtbaren Unterschiede sind zu großen Teilen auf die geringere Bedeutung der Volkshochschule in der DDR und die im Zuge der Wende durchgeführten Umschulungen und Nachqualifizierungen zurückzuführen, die vor allem von privatwirtschaftlichen Anbietern durchgeführt wurden. Diese wiederum prägen bis heute die ostdeutsche Weiterbildungslandschaft.

Liegen die Angebote im Osten vergleichsweise nah beieinander zeigt sich im Westen ein heterogeneres Bild. So ist es vor allem der Süden der Republik, der diesen Schnitt maßgeblich nach oben beeinflusst. Nordrhein-Westfalen und Hamburg weisen sogar einen Wert unterhalb des Bundesschnitts auf. Obwohl die Ergebnisse der Bundesländer schon weit auseinander liegen (Brandenburg 2,5 / Baden-Württemberg 10,3), wird diese Schere auf der Regionalebene noch stärker (Prignitz-Oberhavel 1,9 / Oberfranken-West 12,9). Wenngleich man in der Bundesrepublik „ausgeglichene soziale, infrastrukturelle, wirtschaftliche, ökologische und kulturelle Verhältnisse“ (hier bspw. aus dem Raumordnungsgesetz) anstrebt, scheint dieses Ziel bei dem öffentlichen Weiterbildungsangebot derzeit nicht erreicht.

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Veränderungen führen nicht zu Annäherung zwischen Ost- und West

Obwohl sich die Kurszahlen in Deutschlands Regionen nur bedingt verändern, können sie Aufschluss darüber geben, ob die Ungleichheit zwischen dem Osten und Westen zwischen 2007 und 2012 tendenziell abgebaut worden ist. In den ostdeutschen Regionen ist die Kurszahl auf niedrigem Niveau konstant – hier ist also kaum Veränderung festzustellen. Die westdeutschen Regionen hingegen weisen im Schnitt einen signifikanten Zuwachs von 0,06 Kursen pro Jahr auf. Und das, obwohl im Westen schon das deutlich höhere Niveau vorliegt. Die Schere vergrößert sich also eher, als das sie sich verkleinert. Was sagen diese Veränderungen der Kurszahlen über die Weiterbildungsteilnahme vor Ort aus?

Neue Berechnungen: VHS-Angebot und Teilnahmequote hängen im Osten stärker zusammen

Die Frage, inwiefern der Rückgang oder Zuwachs eines Weiterbildungsangebotes mit einer entsprechend geringeren oder höheren Teilnahmequote einhergeht wurde im Weiterbildungsatlas für Gesamtdeutschland beantwortet. So steigt mit einer Erhöhung des öffentlichen Angebotes um einen Kurs die Teilnahmequote signifikant um 0,4 Prozentpunkte (siehe Modell 1). Inwieweit hier das Angebot auf mehr Weiterbildungsinteressierte oder umgekehrt reagiert, kann derzeit nicht beantwortet werden – beides ist möglich.

Darüber hinausgehend zeigen neue, weiterführende Berechnungen nun, dass sich dieser Zusammenhang zwischen dem Angebot und der Teilnahmequote zwischen Ost- und Westdeutschland deutlich unterscheidet. Veränderungen bei dem VHS-Angebot gehen im Osten mit einer deutlich stärkeren Veränderung der Teilnahmequote einher als im Westen. So verändert sich die Teilnahmequote bei einem zusätzlichen Kurs im Westen nur um 0,34 Prozentpunkte (siehe Modell 2). Im Osten ist dieser Zusammenhang deutlich stärker: Ein zusätzlicher Kurs geht hier mit einer Veränderung von 1,40 Prozentpunkten einher (siehe Modell 2: 0,34+1,06). Das heißt der Zusammenhang ist im Osten viermal so stark wie im Westen (Differenz 1,06). Nun kann dieser starke Zusammenhang aber auch durch andere Einflussfaktoren wie Bildungswanderung oder den demografischen Wandel forciert werden, durch die Kurse gestrichen werden wenn eine sich verändernde Bevölkerung diese Angebote nicht mehr nachfragt. Aber auch unter Berücksichtigung der Veränderung des Erwerbsstatus und der Bildungsabschlüsse der regionalen Bevölkerung bleibt dieser signifikante Befund erhalten (siehe Modell 3). In den ostdeutschen Regionen sind sowohl positive als auch negative Trends vorzufinden, die sich für ganz Ostdeutschland zu einem konstanten Trend aufsummieren. Die Daten sprechen also dafür, dass sowohl der Rückgang als auch der Ausbau des öffentlichen Weiterbildungsbereiches stärker mit der Teilnahmequote verbunden ist als im Westen.

Zusammenhänge zeigen Chancen und Risiken auf

Auch wenn diese Berechnungen nur ein erster Zugang seien können zeigt sich bereits: Ein Rückbau der öffentlichen Weiterbildungsinfrastruktur birgt insgesamt, aber besonders im Osten das Risiko einer sinkenden Teilhabe an Weiterbildung. Aber auch der Ausbau des Angebotes alleine ist kein Garant für hohe Teilnahmequoten. Angebote müssen auf die Bedürfnisse der Bevölkerung und der lokalen Unternehmen zugeschnitten sein. Dabei kann die Vernetzung der lokalen Akteure helfen, die Bedarfe zu erkennen und die Angebote entsprechend anzupassen. Zudem müssen diese Angebote dann auch bei der Bevölkerung bekannt sein. Gerade weil die Volkshochschulen im Osten derzeit eine geringere Bedeutung haben, müsste der Ausbau des Angebotes auch mit verstärkten Werbebemühungen einhergehen. Ebenso wichtig ist eine trägerunabhängige Beratung, die im Optimalfall auch aufsuchend tätig ist, um weiterbildungsbenachteiligte Personen wie beispielsweise Geringqualifizierte zu erreichen. Zu guter Letzt müssen Angebote auch physisch in angemessener Zeit erreichbar sein, was gerade in ländlicheren Regionen eine große Rolle spielt. Können Angebote aufgrund schlechter Anbindung nicht wahrgenommen werden, kann das für viele ein großes Hemmnis sein.

DWA

 

Alle Ergebnisse der Bundesländer und Raumordnungsregionen sowie weitere Informationen rund um den Deutschen Weiterbildungsatlas finden Sie unter www.deutscher–weiterbildungsatlas.de

Hinweis: Alle Angaben zur Anzahl von Kursen sind immer pro 1000 Einwohner zu lesen.

 

Blogreihe zum Deutschen Weiterbildungsatlas:

 



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