Was hat eine Ausbildungsgarantie mit Passungsproblemen zu tun?

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat kürzlich eine Studie veröffentlicht mit dem Titel „Die Passungsprobleme am Ausbildungsmarkt nehmen in der Corona-Krise weiter zu“. Der Titel beinhaltet schon die Hauptaussage: Das Problem der Passungsprobleme am Ausbildungsmarkt wird von Jahr zu Jahr größer. Worum geht es? Eine stetig wachsende Zahl von betrieblichen Ausbildungsplätzen bleibt jedes Jahr unbesetzt, obwohl es gleichzeitig eine ähnliche hohe Zahl junger Menschen gibt, die auf dem Ausbildungsmarkt entweder gänzlich leer ausgegangen oder in einer sogenannten Alternative – z. B. eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme, Praktikum, Einstiegsqualifizierung – gemündet sind. Laut den Ergebnissen einer Delphi-Befragung, die wir gemeinsam mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung durchgeführt haben, gehen 85 % der Expert:innen davon aus, dass uns Passungsprobleme auch im Jahr 2030 noch begleiten werden. Es lohnt sich also, genauer hinzuschauen und nach Lösungswegen zu suchen.

Ursachen von Passungsproblemen

Wie entstehen Passungsprobleme? Teilweise liegen Angebot und Nachfrage in unterschiedlichen Regionen. Das sind die regionalen Passungsprobleme, die jedoch laut Nationalem Bildungsbericht mit 20 Prozent quantitativ den geringsten Teil der Passungsprobleme darstellen. Passen angebotener Beruf und Ausbildungswunsch nicht zueinander, spricht man von berufsfachlichen Passungsproblemen – damit lassen sich immerhin 39 Prozent der Passungsprobleme erklären. Den größten Teil machen mit 41 Prozent die sogenannten eigenschaftsbezogenen Passungsprobleme aus, bei denen trotz Interesse am angebotenen Ausbildungsplatz kein Vertrag zustande kommt. Das kann daran liegen, dass die Bewerber:innen die Ausbildung in einem bestimmten Betrieb nicht absolvieren möchten. Angesichts des hohen Anteils von Jugendlichen mit maximal Hauptschulabschluss an den erfolglosen Ausbildungssuchenden scheint es allerdings wahrscheinlicher, dass es häufiger die Betriebe sind, die die Bewerber:innen nicht für geeignet halten.

Was kann getan werden? Es gibt viele Ansätze. Die einen betonen die Wichtigkeit intensiverer Berufsorientierung, um den Jugendlichen ein besseres Gefühl für ihre Chancen und Möglichkeiten am Ausbildungsmarkt zu geben und ihren Blick auch für Berufe zu öffnen, die zuvor gar nicht für sie in Betracht zu kommen schienen. Die anderen erhoffen sich von Maßnahmen zur Erhöhung der Mobilität von Jugendlichen eine spürbare Verbesserung. Projekte, Programme und Maßnahmen dazu gibt es seit Jahren und doch ist es nicht gelungen, eine Trendwende herbeizuführen. Im Gegenteil: die Passungsprobleme werden immer größer. Paul Watzlawick hat einmal gesagt „Wenn Du immer wieder das tust, was Du immer schon getan hast, dann wirst Du immer wieder das bekommen, was Du immer schon bekommen hast.“ Ein wenig fühlt man sich bei diesem Satz an die Lage auf dem Ausbildungsmarkt erinnert: Es wird zwar viel getan, aber es verändert sich nicht wirklich etwas, zumindest nicht zum Besseren.

Aber der Ausspruch von Watzlawick geht noch weiter: „Wenn Du etwas Anderes haben willst, musst Du etwas Anderes tun!“. Dieses „Andere“ ist zum Beispiel die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung festgeschriebene Einführung einer Ausbildungsgarantie. Eine Ausbildungsgarantie zur Lösung von Passungsproblemen? Das klingt auf den ersten Blick paradox. Aber meine These ist, dass eine Ausbildungsgarantie – sofern sie richtig ausgestaltet ist – einen wesentlichen Beitrag zur Verringerung von Passungsproblemen leisten kann. Wie lässt sich diese These begründen? Dazu skizziere ich die Funktionsweise einer Ausbildungsgarantie und beleuchte dann die Wirkungen auf die unterschiedlichen Formen von Passungsproblemen.

Die österreichische Ausbildungsgarantie als Vorbild

Ein reales Vorbild für die Umsetzung einer Ausbildungsgarantie findet sich in Österreich. Mit dieser wird dafür gesorgt, dass Jugendliche bis 25 Jahre, die trotz Bewerbungen bei der Ausbildungsstellensuche leer ausgegangen sind oder ihre Ausbildung abgebrochen haben, eine außerbetriebliche Ausbildung absolvieren können. Bevor es so weit kommt, durchläuft ein junger Mensch  eine zehnwöchige Orientierungsphase, während der versucht wird, einen betrieblichen Ausbildungsplatz zu vermitteln. Nur wenn das nicht gelingt, wird ein staatlich finanzierter Ausbildungsplatz angeboten, der aber auch betriebliche Anteile beinhaltet. Diese Variante kommt also nur dann zum Einsatz, wenn kein betriebliches Ausbildungsverhältnis zustande kommt. Eine Art staatlicher Ausfallbürgschaft, damit niemand auf der Strecke bleibt und bei der keine betrieblichen Ausbildungsplätze verdrängt werden. Die Jugendlichen bekommen einen Vertrag zunächst nur für das erste Ausbildungsjahr mit dem Ziel eines Wechsels in eine betriebliche Ausbildung spätestens nach einem Jahr, wenn sich ein übernahmewilliger Betrieb findet. Nur wenn das trotz aller Vermittlungsanstrengungen nicht gelingt, kann die Ausbildung bei einem Bildungsträger zum anerkannten Abschluss geführt werden.

Was hat das nun mit Passungsproblemen zu tun? Betrachten wir zunächst die berufsfachlichen Passungsprobleme: Hier kann die angesprochene Orientierungsphase dazu dienen, das Spektrum der infrage kommenden Berufe zu erweitern und den jungen Menschen möglicherweise für ein Berufsfeld zu interessieren, dass er/sie bei seinen/ihren Bewerbungen noch nicht im Blick hatte.

Auch bei regionalen Passungsproblemen kann die Ausbildungsgarantie helfen, weil in ihrem Rahmen gerade in Regionen mit einer Unterversorgung an Ausbildungsplätzen ein Ausgleich durch die Bereitstellung außerbetrieblicher Ausbildungsplätze geschaffen werden kann. Dies hilft dann zwar nicht den betroffenen Betrieben, zumindest aber den Jugendlichen.

„Klebeeffekt“ der Ausbildungsgarantie

Wie beschrieben machen die eigenschaftsbezogenen Passungsprobleme quantitativ den größten Anteil aus. Und hier kann auch die Ausbildungsgarantie ihren größten Beitrag leisten. Wenn der Jugendliche die Ausbildungsgarantie in Anspruch nimmt und das erste Ausbildungsjahr außerbetrieblich abgebildet wird, so erfolgt dies immer in Kooperation mit Betrieben. Diese Kooperation ermöglicht auf beiden Seiten ein gegenseitiges Kennenlernen: der Betrieb lernt einen jungen Menschen kennen, der allein aufgrund seiner Bewerbungsunterlagen offenkundig nicht überzeugen konnte, aber auf diese Weise die Chance bekommt, sich in der Praxis zu beweisen. Und der Jugendliche bekommt die Möglichkeit, einen Betrieb kennen zu lernen, der vielleicht nicht seinen ursprünglichen Präferenzen entsprochen hätte. Auf diese Weise wirkt die Ausbildungsgarantie als Bindeglied zwischen unbesetzten Ausbildungsstellen einerseits und unversorgten Bewerber:innen andererseits.

Zusammengefasst: Passungsprobleme und Ausbildungsgarantie klingen auf den ersten Blick widersprüchlich, denn, wenn Stellen unbesetzt bleiben, erscheint es zunächst kontraproduktiv, über eine Ausbildungsgarantie noch zusätzliche Ausbildungsplätze anzubieten. Aber das Gegenteil ist der Fall: Wenn eine Ausbildungsgarantie sinnvoll ausgestaltet und die Anreize für einen Wechsel in betriebliche Ausbildung richtig gesetzt sind, kann sie nicht nur einen wirkungsvollen Beitrag zur Reduzierung von Versorgungs-, sondern auch von Besetzungsproblemen auf dem Ausbildungsmarkt leisten. Die Einführung einer Ausbildungsgarantie ist im Koalitionsvertrag der Bundesregierung festgeschrieben. Bleibt zu hoffen, dass sie in diesem Sinne zügig und wirkungsvoll umgesetzt wird.



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