Erfahrungsbericht – Leidet die Qualität meiner Ausbildung unter Corona?

Auszubildende haben es gerade nicht leicht: Home-Office, Online-Unterricht und häufig niedrigere Auslastungen in den Unternehmen, bis hin zum Ausbildungsverlust. Dazu kommen häufig soziale Isolation und Zukunftsängste.

Ich werde von der Bertelsmann SE & Co. KGaA zum Industriekaufmann ausgebildet und das sind meine Erfahrungen mit der Pandemie in der Ausbildung.

 

Digitaler Unterricht distanziert

Der Berufsschulunterricht ist wahrscheinlich der Part der Ausbildung, der zurzeit die größte Herausforderung für die Auszubildenden darstellt. Viele Berufsschulen haben leider immer noch Probleme, den Online-Unterricht umzusetzen. Nachdem ich auch mit Auszubildenden anderer Berufe und Unternehmen gesprochen habe, kann ich eine positive Bilanz über meinen Berufsschulunterricht ziehen.

Unsere Berufsschule führte bereits vor der allgemeinen Umstellung auf das „Home-Schooling“ Wechselunterricht durch, wodurch es für Schüler:innen und Lehrer:innen leichter war, sich auf die neue Situation einzustellen. Wir hatten dadurch kaum Ausfallzeiten und konnten relativ schnell mit dem Schulalltag fortfahren. Natürlich gab es dennoch Startschwierigkeiten aufgrund der neuen Kommunikationsprogramme. Wir nutzen die Software „Microsoft Teams“, die uns natürlich viele neue Möglichkeiten eröffnet, welche aber erst einmal erlernt werden müssen. Meine Mitschüler:innen und ich konnten jedoch immer auf die Unterstützung durch unsere Lehrer:innen und das Ausbildungs-Team vertrauen.

Manche Probleme lassen sich aber nicht so einfach lösen: Die räumliche Abwesenheit der Lehrer:innen und das heimische Umfeld verleiten eher dazu, abgelenkt und unaufmerksam zu sein. Außerdem entsteht durch den Online-Unterricht nicht nur eine räumliche, sondern auch eine soziale Distanz. Mir ist aufgefallen, dass meine Mitschüler:innen und ich weniger außerschulischen Kontakt haben und sich weniger am Unterricht beteiligen als in Präsenz. Die Lehrer:innen können daher nicht wirklich auf die Schüler:innen eingehen und Probleme jeglicher Art nicht frühzeitig erkennen. All das erhöht die Gefahr, dass auf die Bedürfnisse einzelner Schüler:innen nicht ausreichend eingegangen werden kann.

Bei den genannten Herausforderungen wurden pragmatische, wie auch kreative Lösungswege gefunden. Die Video-Funktion soll beispielsweise helfen, ein Unterrichtsgefühl zu geben und die soziale Distanz zu verringern. Zudem versucht mein Klassenlehrer durch wöchentlich eingestellte Termine zur Kaffee-Zeit den Zusammenhalt in der Klasse zu stärken und der sozialen Isolation entgegen zu wirken. Des Weiteren wird der Unterricht durch digitale Quizze und Gruppenarbeiten aufgelockert. Besonders positiv an dem Online-Modell ist die Tatsache, dass jegliche Unterrichtsmaterialien hochgeladen werden und zur späteren Einsicht zur Verfügung stehen.

 

Virtuelles Kennenlernen im Home-Office

Der Alltag im Betrieb hat ebenfalls seine Vor- und Nachteile. Derzeit bin ich in der Bertelsmann-Stiftung eingesetzt und unterstütze das Programm „Lernen fürs Leben“. Durch die vollständige Verlagerung des Betriebs ins Home-Office, war es mir bisher nicht möglich, meine Kolleg:innen persönlich zu treffen. Diese Tatsache erschwert es mir natürlich, in der Abteilung anzukommen und mich in das Team einzufügen. Obwohl meine Kolleg:innen mich sehr nett aufgenommen haben und verständnisvoll sind, ist es dennoch schwer, die soziale Distanz zu verringern.

Hilfreich für das Kennenlernen meiner Kolleg:innen sind tägliche „Social-Calls“, die den täglichen Austausch innerhalb des Teams fördern. Hinzu kommen Routinetermine mit meiner Ausbilderin, die meinen Arbeitstag strukturieren und eine gewisse Beständigkeit in meinen Alltag bringen. Der Kontakt zu meiner Ausbilderin  und meinen Kolleg:innen ist unkompliziert und schnell, was meine Arbeit im Home-Office erleichtert. Regelmäßige Chats, E-Mails, wöchentliche Routinen und tägliche Telefonate geben mir das Gefühl, dass ich bei meiner Arbeit unterstützt und geschätzt werde.

 

Fazit

Die Befürchtung, dass die Ausbildung unter Corona leidet und an Qualität verliert, hat sich in meinem Fall nicht bewahrheitet. Natürlich sind neue Herausforderungen hinzugekommen, die aber mit einer gesunden Grundeinstellung und mit der Unterstützung durch die Lehrer:innen und Ausbilder:innen zu bewältigen sind. Die Selbstständigkeit, aber auch die eigene Organisation ist gefordert. Dennoch dürfen Auszubildende nicht zu sehr sich selbst überlassen werden, denn gerade die soziale Isolation im Home-Office oder auch im Distanzunterricht kratzt an der Motivation und schürt Zukunftsängste. 

Doch vergesse ich nicht, dass nicht jeder Auszubildende die Corona-Zeit so positiv erlebt hat. Einer meiner Freunde macht eine Ausbildung zum Veranstaltungstechniker. Nicht nur, dass seine Auslastung im Betrieb gegen null gefallen ist, der Betrieb droht insolvent zu gehen. Seine Perspektiven, die Ausbildung in einem anderen Betrieb fortsetzten zu können, stehen ebenfalls schlecht, denn die ganze Branche leidet bekanntlich sehr unter der Pandemie und kein Unternehmen stellt neues Personal ein.

Ich kann nur hoffen, dass Auszubildende wie er, die ihren Ausbildungsplatz verloren haben oder aktuell keinen finden, möglichst bald Unterstützung und Perspektiven geboten werden.



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