Kompetenzen: „Die Betriebe müssten auch ‚lesen‘ können, was Validierungsergebnisse aussagen“ – Blogstöckchen Teil 2

Seit rund 15 Jahren geht in der europäischen und deutschen Bildungspolitik das Wort der Validierung von informellen Kompetenzen um. Blickt man auf diese Jahre zurück, so kann man einen ersten historischen Anker in der Idee der EU-Kommission finden, ‚persönliche Kompetenzausweise‘ zu entwickeln (Lehren und Lernen in Europa – auf dem Weg zur die kognitiven Gesellschaft, 1995).

Seitdem wurde die Idee durch mehrere EU-Programmgenerationen gejagt. Auch in Deutschland fiel die Kompetenzfeststellung auf fruchtbaren Boden. Schnell wurde ausgemacht, dass das Land gegenüber Frankreich und den nordischen Staaten einen Standortnachteil habe, da es kein eigenes Instrument aufweisen könne. Zwischenzeitlich hat sich die Diskussion so gefestigt, dass auch die Bundesregierung nicht an der Idee einer Validierung mehr vorbei kann. Im Koalitionsvertrag steht geschrieben: „Für Menschen, die sogenannte informelle Kompetenzen erworben haben, die sie nicht durch Zertifikate belegen können, wollen wir neue Verfahren entwickeln und erproben, die zu Transparenz und Anerkennung führen (s.a. https://www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf).

Die Forderung nach Instrumenten der Validierung verläuft dabei stets mit einigen fixen Argumenten, die zu Topoi geworden sind: Die Abschlüsse und Qualifikationen sagten nur mehr wenig über die Kompetenz eines Erwerbstätigen aus; gerade Menschen ohne geregelte Abschlüsse könnten profitieren. Die Hoffnungen werden auch unverblümt formuliert: das Matching würde so viel einfacher werden. Die Erwerbstätigen würden kompetenzadäquat arbeiten. Es handele sich auch um Weiterbildung.

Politikwissenschaftliche Forschung könnte wohl zeigen, dass die Popularisierung der Idee der Validierung einem Muster folgt wie bei der Diffusion anderer Ideen, die schließlich die politische Agenda erreichen. Mit der Methode der Ideologiekritik würde vermutlich klargestellt, dass die Hoffnungen und Zielformulierung nur normativ und programmatisch sind; Evidenz aus anderen Vergleichsstaaten können die nicht begründen.

Kompetenzforschung könnte zurechtrücken, dass eine Validierung eine unheimlich schwierige Sache ist. Denn Kompetenzfeststellung ist schon alleine aufgrund der Variablen eine große Herausforderung, eine gezielte Kompetenzmessung bzw. -entwicklung methodisch unmöglich zu testen. Zudem ist Validierung nur ein begrifflicher Deckel auf einer enormen Vielfalt von Verfahren; einen Konsens über ein ‚richtiges‘ und passendes‘ Verfahren gibt es nicht.

Was jedoch gänzlich ausgeblendet wird, ist die Sicht der Betriebe: sie sind doch die entscheidenden Abnehmer der Ergebnisse einer Validierung! Sie spielen jedoch weder in den Überlegungen der Bildungspolitik eine Rolle noch in der praktischen Gestaltung der Projekte in den letzten 15 Jahre.

Zunächst ist festzuhalten, dass Unternehmen in Deutschland schon lange eigene Kompetenzfeststellungen vornehmen, vom Einstellungstest wie Postkorbübungen und Diktat bis hin zu Assessment Centers, das Probehalbjahr, die Projektarbeit im Praktikum, die Projektleitung u.a. Es wird den Bewerbern in einem realen Umfeld die Möglichkeit gegeben, ihre Kompetenzen nachzuweisen. Zudem nutzen sie auch eine Vielzahl von Modellen, die die Funktionen einer solchen Anerkennung übernehmen. Aus betrieblicher Sicht sind dies die Bewerbungsmappe, das Vorstellungsgespräch, das Mitarbeiter- und Entwicklungsgespräch usw.

Die Betriebe müssten auch ‚lesen‘ können, was Validierungsergebnisse aussagen. Sind es Potentiale – oder nur Momentaufnahmen? Handelt es sich um eine bloße Benennung von Kompetenzen – oder ist damit eine Bewertung verbunden? Welche Kompetenzkategorien würden denn gesetzt – oder würden die variieren, zum Beispiel zwischen fachlichen und sozialen? Könnte man den Validierern denn trauen – oder wären das zunächst nur selbst erklärte Validierer ohne eigene Qualifikation?

Vor dem Hintergrund der Debatte um den Beschäftigtendatenschutz ist zudem zu fragen, inwieweit der Arbeitgeber über die Daten von Validierungen überhaupt verfügen darf. Die deutschen Unternehmen verbinden mit der Gesetzesinitiative die Sorge, dass sie Personen-bezogene Daten für die Personalentwicklung künftig nicht mehr oder nur mehr eingeschränkt einsetzen dürfen. Die Befürworter der Validierungen haben auf diese anstehenden rechtlichen Herausforderungen noch keine Antwort.

Schließlich ist die Frage der Finanzierung von besonderer Bedeutung, die jedoch von der bildungspolitischen Diskussion bislang ebenso ignoriert wird. Wer zahlt denn für die Verfahren? Gerade diejenigen ohne Abschluss dürften nur über geringe eigene Mittel verfügen? Würden Staat oder Arbeitslosenversicherung dafür aufkommen müssen? Oder sollte es wie in Frankreich laufen, dass der Betrieb zahlt und freistellt, aber kein Anrecht auf die Einsicht in die Ergebnisse hat?

Was also ist zu tun? Die Diskussion muss vertieft und verbreitert werden. Gerade die Erwartungen sind anhand der Beispiele anderer Staaten zu überprüfen. Denn es handelt sich eben nur um eine kleine Zahl von Menschen, die die Validierungen nutzen. Meist sind sie langwierig, die Abbrecherquote beträchtlich. Es ist also zu fragen, worin der genaue Mehrwert besteht, welche die Zielgruppen sein sollten, wer die Finanzierung übernimmt usw. Also bedarf es auch für Deutschland einer spezifischen Bedarfsanalyse und Folgenabschätzung.

Bisherige Beiträge zum Blogstöckchen #dukannstwas:

1. „Kompetenzanerkennungskompetenz“  #dukannstwas – Blogstöckchen Teil 1

2. Kompetenzen: „Die Betriebe müssten auch ‚lesen‘ können, was Validierungsergebnisse aussagen“ – Blogstöckchen Teil 2

3. Kompetenzanerkennungskompetenz Bottom-up – #dukannstwas Blogstöckchen Teil 3

4. Die im Dunkel sieht man nicht: Informell erworbene Kompetenzen sichtbar machen – Blogstöckchen Teil 4



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