Fachkräftesicherung ade – Die Weiterbildungsverlierer

Ist die Debatte zum Fachkräftemangel heiße Luft?

Wenn in Südwestfalen die Stundenlöhne von Baggerfahrern in den letzten Jahren von 12,50 € auf 17,50 € gestiegen sind, wie Peter Staudt vom BVMW – Bundesverband mittelständische Wirtschaft, Unternehmerverband Deutschlands e.V. gestern auf dem Meeting Mittelstand in Soest beschrieb, kann zumindest in einigen Branchen schon jetzt von einem Fachkräftebedarf gesprochen werden. Auch die anwesenden Unternehmensvertreter berichteten von sich direkt abzeichnenden Fachkräfteengpässen, z.B. bei der Rekrutierung von Ingenieuren, Apothekern und Personenkraftfahrern. Diese Engpässe schlügen bei den in der Politik stärker präsenten Branchenriesen wie Bayer, Daimler, Siemens und Co., die auch heute zum Teil 17.000 Bewerbungen auf 300 Ausbildungsstellen zu verzeichnen haben, viel weniger stark zu Buche als bei kleineren und mittleren Unternehmen, so der Tenor der Diskussion. Die Sorgen der Mittelständler bezogen sich hierbei vor allem auf den jungen Nachwuchs und die Frage wie Schulabgänger motiviert werden können statt eines Studiums eine Ausbildung in einem Job zu beginnen, bei dem die Work-Life-Balance nicht die oberste Priorität sein kann.

Präsentation Fachkräftesicherung ade – Die Weiterbildungsverlierer

Sind Mittelständler bereit zur Fachkräftesicherung auch Geringqualifizierte Erwachsene zu qualifizieren?

Diese Frage stellte ich den Anwesenden gestern am Ende meines Vortrages über unsere Weiterbildungsverliererstudie zu atypischer Beschäftigung  im LWL-Berufsbildungswerk Soest. Große Begeisterung ob dieses Vorschlages habe ich nicht verspürt, aber auch keine große Ablehnung. Ich blickte vor allem in nachdenkliche Gesichter. Dass hier noch viel Aufklärungsarbeit nötig ist, bestätigte auch Michael Quenkert, Teamleiter des Arbeitgeberservice der Agentur für Arbeit in Soest. Wie viele andere Arbeitsagenturen in der Bundesrepublik hat er erhebliche Mittel für die Weiter- und Nachqualifizierung von Ungelernten im WeGebAU Programm  zur Verfügung. Diese werden allerdings zu einem Drittel gar nicht abgerufen. Und das obwohl das Programm nicht nur für Lehrgangskosten und übrige Weiterbildungskosten wie Fahrkosten ganz oder teilweise aufkommt. Es gewährt dem Arbeitgeber sogar unter bestimmten Voraussetzungen einen Arbeitsentgeltzuschuss, um für den weiterbildungsbedingten Arbeitsausfall zu kompensieren.

Keine Zukunft für Weiterbildungsverlierer?

Durch das mangelnde Engagement vieler Betriebe und die Nicht-Nutzung bestehender Weiterbildungsfördermöglichkeiten bleibt echte gesellschaftliche Teilhabe für atypisch Beschäftigte und Geringqualifizierte weiterhin Zukunftsmusik – Dabei könnte sich hier gerade mit Blick auf die Fachkräftesituation eine Win-Win Situation zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern entwickeln.

Ein ähnlicher Win-Win bietet sich im Übrigen auch für eine andere Zielgruppe an, wie Erwin Denninghaus vom LWL-Berufsbildungswerk Soest, eindringlich den potentiellen Arbeitgebern seiner schwerbehinderten Auszubildenden beschrieb. Von allen Absolventen des Berufsbildungswerkes, landeten nämlich schon jetzt 75% dauerhaft in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und erreichten dadurch nicht nur ein selbstbestimmtes Leben, sondern entlasteten auch die Volkswirtschaft.

Nötig, darüber bestand am Ende der Diskussion Einigkeit, sei eine bessere Vernetzung der verschiedenen Arbeitsmarkt- und Weiterbildungsakteure und eine Fokussierung nicht auf die Defizite sondern auf die Potentiale des Einzelnen, denn – jeder kann etwas #dukannstwas!

Over and out

Unbenannt

Foto von links nach rechts: Peter Staudt, BVMW; Erwin Denninghaus  LWL Soest; Dr. Martin Noack, Bertelsmann Stiftung; Holger Kirschstein, LWL Soest

 



Kommentare

  1. / von Udo Dinsing

    Mir persönlich ist kein Realunternehmer bekannt, der sich über einen Fachkräftemangel beklagt, sondern nur die sogenannten Möchtegernunternehmer ! (und von denen haben wir ja mehr als wie wir brauchen)

    Ich habe über ein Jahr recherchiert, mir die Jahresberichte der Handwerkskammern durchgelesen, mir die berufsbezogenen Abschlußprüfungen der Industrie angesehen. (natürlich nicht bei allen 11900 registrierten Akrtiengesellschaften)
    Ich habe mir die Zahlen der bestandenen Fort-und Weiterbildungsprüfungen angesehen. Alle Prüfungsabnahmen belaufen sich auf den Jahrgang 2013 – 2014.
    Ich habe mit Unternehmungen und mit Großkonzernen telefoniert.
    Ich habe diverse Unternehmungen persönlich besucht und vor Ort mit den Leuten gesprochen. Nix mit Fachkräftemangel !

    Und das Ergebnis habe ich in dem neuen Buch veröffentlicht mit Quellenangabe.
    Titel: „Fachkrtäftemangel in Deutschland ? – Ein Lügenmärchen der Politik und der Wirtschaft !“
    Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass man das Volk mit dieser Aussage belügt um eine Zuwanderung (von angeblichen Fachkräften) zu rechtfertigen.
    Darüber hinaus stimme ich einem BWL-Prof. zu der gesagt hat, „Fachkräftemangel nein, aber Fachlohnmagel ja“.

    1. / von Martin Noack
      zu

      Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ein flächendeckender branchenübergreifender Fachkräftemangel ist auch meines Erachtens in Deutschland derzeit nicht zu beobachten. Wenn der demografische Wandel voll auf dem Arbeitsmarkt durchschlägt, also in ca. 15 Jahren, dann werden wir ein solches Phänomen unter Umständen schon eher beobachten können.

      Dennoch sind in einzelnen Branchen bereits jetzt substantielle ungedeckte Fachkräftebedarfe zu beobachten, z.B. in der Pflege. http://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2015/juni/fachkraeftebedarf-in-der-pflege/.

      Ihr Hinweis auf einen „Fachlohnmangel“ ist dahingehend bemerkenswert das in Branchen mit besonders unattraktiven Arbeitsbedingungen bei gleichzeitig verhältnismäßig niedrigem Lohn zukünftige Fachkräfteengpässe schon jetzt am stärksten zu erkennen sind (z.B. Pflege, Logistik, Bäckerhandwerk).

Kommentar verfassen