Wege zwischen beruflicher und akademischer Bildung – was können wir aus dem Ausland lernen?

Studieren ohne Abitur, Berufsabitur, duales Studium, Akademisierung der Berufsbildung, Ausbildung für Studienabbrecher, Berufsbachelor – diese Schlagworte aus der aktuellen Diskussion über die nachschulische Bildung in Deutschland zeigen, dass die einstige Versäulung von beruflicher und akademischer Bildung die Realität im deutschen Bildungssystem nicht mehr korrekt abbildet. Die strikte Trennung zwischen einem einerseits beruflichen Bildungsweg für die Mehrheit und einem andererseits gymnasial-akademischen Bildungsweg für eine Minderheit ist Geschichte.

Es gibt heute zahlreiche Wege zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung. Die einstige Versäulung ist einer schwer zu überblickenden Vielfalt von Bildungswegen gewichen. Eine ordnende Gesamtschau erscheint schier unmöglich. Und es existiert kein bildungspolitisches Gesamtkonzept, das all diese Veränderungen aufnimmt. Gegenwärtig befindet sich die nachschulische Bildung vielmehr in einer Phase des Umbruchs. Aber wohin führt dieser Umbruch? Wie wird sich die nachschulische Bildungslandschaft in den nächsten Jahrzehnten entwickeln?

Diese Fragen stellen sich nicht nur in Deutschland: Auch in anderen Ländern wird das Verhältnis von beruflicher und hochschulischer Bildung neu verhandelt. Denn weltweit steigt die Nachfrage nach nachschulischer Bildung, insbesondere nach hochschulischer Bildung. Beispiele aus anderen Ländern können als Inspiration dienen und das Spektrum der Möglichkeiten erweitern. Aber Beispiele wofür genau? Nachschulische Bildung – also die Bildungsangebote jenseits der allgemeinbildenden Schulen – ist ein weites Feld. Deshalb wurde eine Eingrenzung in drei Bereiche vorgenommen:

1.     Doppelqualifikationen, bei denen mit einer beruflichen Qualifikation die Zugangsberechtigung zu einem Hochschulstudium erworben wird.

2.     Hybride Bildungsgänge, in denen Elemente von beruflicher und hochschulischer Bildung verknüpft werden und

3.     Referenzsysteme zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung, mit denen Transparenz hergestellt und wechselseitige Anerkennung erleichtert wird.

Professor Dietmar Frommberger, Experte für international vergleichende Berufsbildungsforschung, hat dann im Auftrag der Bertelsmann Stiftung untersucht, wie diese Bereiche in unterschiedlichen Ländern ausgestaltet sind, welche Erfahrungen dabei gemacht werden und was man daraus lernen kann. Dazu wurden zunächst Fallstudien für insgesamt acht Länder erstellt. Diese werden wir in den kommenden Wochen einzeln in diesem Blog vorstellen. Natürlich gibt es auch eine übergreifende Analyse, die die Inhalte der Fallstudien zusammenfasst und bewertet. Für den schnellen Leser hier einige zentrale Ergebnisse:

Doppelqualifikationen: erfolgreiches Sprungbrett in das Berufsleben oder in das Studium

Im Bereich der Doppelqualifikationen lassen sich zwei grundsätzliche Varianten unterscheiden:

Variante 1: Vollzeitschulische, berufliche Bildungsgänge, die einen berufsqualifizierenden Abschluss mit Übergangsmöglichkeiten in den Hochschulbereich verbinden. Beispiele dafür sind die mittlere Berufsausbildung in den Niederlanden, die berufsbildenden höheren Schulen in Österreich oder die Fachschulen als Angebot der höheren Berufsbildung in der Schweiz.

Variante 2: Die Berufsreifeprüfung in Österreich und die Berufsmatura in der Schweiz, die an die dualen Ausbildungsangebote anknüpfen und Auszubildenden die Option anbieten, neben dem berufsqualifizierenden Abschluss zusätzlich eine Hochschulreife zu erwerben.

Die Übergangsraten aus den vollzeitschulischen Berufsbildungsangeboten in den Hochschulbereich – d.h. in der ersten Variante – sind deutlich höher. Zugleich führen diese Abschlüsse sehr erfolgreich in eine berufliche Erwerbstätigkeit. Doppelqualifikationen stärken generell die Anziehungskraft der beruflichen Bildung, die dadurch ihren Sackgassencharakter verliert. Darüber hinaus eröffnen sie neue Bildungschancen für diejenigen Gruppen, die in jungen Jahren benachteiligt gewesen sind.

Hybride Bildungsgänge: hohe Nachfrage und wachsende Vielfalt

Hybride Bildungsgänge bezeichnen Angebote, die aus der Kombination von Elementen der beruflichen und hochschulischen Bildung entstehen. Die untersuchten hybriden Bildungsgänge zeichnen sich durch eine hohe Angebotsvielfalt aus, die unter anderem in einem veränderten Fachkräfte- und Personalentwicklungsbedarf in bestimmten Berufsfeldern begründet sind. Alle untersuchten Modelle –  das duale Studium in Deutschland, die Cooperative Education in Kanada, die Higher Apprenticeships in England und die Associate Degrees in den Niederlanden – sind im Kern Hochschulangebote, die mit Elementen beruflicher Bildung oder ausgedehnten berufspraktischen Erfahrungen verknüpft werden und zum Erwerb eines anerkannten Hochschulabschlusses führen. Eine Ausnahme stellen die Associate Degrees in den Niederlanden dar, die auch von Einrichtungen der beruflichen Bildung vergeben werden können. Die untersuchten Bildungsgänge verzeichnen eine starke Nachfrage; so sind die dualen Studiengänge in Deutschland das am stärksten wachsende Segment innerhalb der Hochschulbildung.

Hybride Bildungsgänge richten sich vorwiegend an Personengruppen, die nicht den klassischen Weg von der höheren Allgemeinbildung in ein universitäres Studium wählen wollen oder können. Dabei ermöglichen die Associate Degrees in den Niederlanden den Einstieg in die Hochschulbildung besonders niedrigschwellig und bereits in der Erstausbildungsphase. Andere Modelle, wie etwa duale Studienangebote in Deutschland, zielen entweder auf bereits berufstätige Personen oder auf solche, die bereits eine Studienberechtigung mitbringen.

Referenzsysteme: Transparenz, aber schwierige wechselseitige Anrechnung

Qualifikationsrahmen und Kreditpunktesysteme, wie der Australian Qualification Framework oder das schottische Kreditpunktesystem, stellen in erster Linie Transparenzinstrumente dar. Die Abschlüsse werden Niveaus zugeordnet und der einem Abschluss zugrundeliegende Lernumfang wird durch Punkte abstrakt dargestellt.

Qualifikationsrahmen und Kreditpunktesysteme ersetzen jedoch nicht die vorhandenen Zugangsberechtigungen. Es entstehen aus diesen Transparenzinstrumenten keine rechtlichen Ansprüche. Über Zugänge zu Bildungsgängen und die Anrechnungen bereits anderswo erbrachter Leistungen entscheiden weiterhin die existierenden schulrechtlichen Regelungen oder die zulassenden Einrichtungen – im letzteren Fall häufig per Einzelfallentscheidung. Bildungsbereichsübergreifende Anerkennungen und Anrechnungen bleiben also auch auf der Basis dieser Transparenzinstrumente eine Herausforderung.

Übergänge: Eine Herausforderung für berufliche und hochschulische Bildung

Die untersuchten Beispiele zeigen, dass weltweit ein bildungspolitischer Such- und Veränderungsprozess stattfindet. Die Grenzen zwischen allgemeiner, beruflicher und hochschulischer Bildung – insbesondere ein undurchlässiges Berechtigungswesen – werden zunehmend als Problem angesehen und in Frage gestellt. Die Weiterentwicklung der Bildungssysteme stellt für die Bildungspolitik eine zentrale Aufgabe dar. Die skizzierten Lösungsansätze zielen darauf ab, Zu- und Übergänge transparent und verbindlich zu gestalten, um Bildungsaufstiege zu ermöglichen und Chancengerechtigkeit zu erhöhen. Es geht darum, neue Wege zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung zu schaffen und existierende Wege zu verbreitern. Wie gut dies gelingt, hängt nicht nur von den formalen Strukturen des jeweiligen Bildungssystems ab. Vielmehr zeigt sich, dass bei der Schaffung von durchlässigen Bildungsstrukturen auch die Finanzierung der Bildungsangebote und die Anreize des Arbeitsmarkts eine wichtige Rolle spielen.

Insgesamt zeigt sich auch: Jedes Land stellt einen eigenen, in seiner Konstellation einzigartigen Fall dar. Es gibt nicht eine optimale Lösung, die – einmal gefunden – kopiert und auf Deutschland übertragen werden kann. Aber die Beispiele können als Inspiration dienen für bildungspolitisches Handeln im eigenen Land. Dazu soll die Studie einen Beitrag leisten. Die Lektüre lohnt sich!

Diesen Artikel haben Clemens Wieland und Dr. Marcus Eckelt geschrieben.



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