Vom Heben der Schätze – der TalentKompass NRW unterstützt bei der beruflichen Orientierung

Für immer mehr Beschäftigte, Berufsrückkehrende und Arbeitssuchende gehören berufliche Veränderungsprozesse zu ihrer Lebenspraxis. Gerade Geringerqualifizierte haben Schwierigkeiten, den beruflichen Einstieg zu schaffen bzw. einen Umstieg oder Aufstieg zu gestalten, weil sie über wenig oder keine relevanten Zertifikate verfügen. Die Bedeutung von Kompetenzen, die während der Arbeit bzw. im Alltag erworben werden, nimmt zu. Diese Entwicklung fordert immer mehr Menschen heraus, ihre Kompetenzen auf eine andere Weise, als durch vorhandene Nachweise, zu präsentieren. Vor diesem Hintergrund wurde zu Beginn der Nullerjahre in Nordrhein-Westfalen die Kompetenzbilanz NRW entwickelt, um die Artikulationsfähigkeit von Beschäftigten im Hinblick auf ihre Kompetenzen zu fördern.

Die Auswertung der Erfahrungen mit der Kompetenzbilanz NRW hat 2005 zur Entwicklung des TalentKompass NRW geführt. Nicht alleine die Auseinandersetzung mit den Schlüsselkompetenzen sollte die Grundlage einer „Kompetenzbilanzierung“ bilden, sondern das Auffinden von sogenannten übertragbaren Fähigkeiten. Der neue Ansatz hilft dabei, die persönlichen Energiezentren aufzuspüren und für die weitere berufliche Entwicklung fruchtbar zu machen.

Seit 2013 liegt der TalentKompass NRW in einer Neufassung vor, in die die praktischen Erfahrungen mit der ersten Auflage und erste Evaluationsergebnisse Eingang gefunden haben.

Zielgruppe und Inhalte

Der TalentKompass NRW unterstützt Menschen bei der beruflichen Orientierung und Entwicklung. Beschäftigte, Berufsrückkehrende und Arbeitssuchende können durch die Nutzung des Instruments anstehende berufliche Veränderungen und Entscheidungen mit den eigenen Möglichkeiten aktiv gestalten. In einem fünfstufigen Verfahren können die Anwenderinnen und Anwender

  • die eigenen Fähigkeiten und Interessen erkennen,
  • das persönliche Potenzial einschätzen,
  • neue Ideen für eine berufliche Tätigkeit erhalten,
  • ein persönliches Ziel möglichst genau benennen und
  • erste Schritte in die beschriebene Richtung gehen.

Der TalentKompass NRW wurde für ein breites Anwendungsspektrum entwickelt:

  • Beratungsangebote oder Seminare zu beruflichen Veränderungsprozessen,
  • Einbindung in die Bildungsberatung von Beschäftigten, Berufsrückkehrenden und Arbeitslosen,
  • Nutzung in der betrieblichen Personalentwicklung, z. B. zur Vorbereitung von Mitarbeitergesprächen und bei Umstrukturierungsmaßnahmen.

Methodik und Auswertung

Jeder Mensch hat Talente, die entfaltet und weiterentwickelt werden können. Das Verfahren leitet durch einen Prozess, wie diese Talente für die berufliche Entwicklung systematisch genutzt werden können. Von besonderer Bedeutung ist, dass auch die persönlichen Interessen und Werte sowie die Vorstellungen über das berufliche Umfeld einbezogen werden. Der Ansatz fragt also danach, wo die Fähigkeiten und Talente besonders gut wirksam werden können. Konzeptionell gründet das Verfahren auf der Trait- und Faktortheorie, dem Konzept der übertragbaren Fähigkeiten und dem Ansatz des Life/Work Planning von R. N. Bolles (vgl. die Literaturliste unten).

Dabei versteht sich der TalentKompass NRW durchgängig als interaktives Verfahren, das im Dialog mit anderen durchgeführt wird. Das gilt für die Erfassung der Kompetenzen, für die Entwicklung von beruflichen Ideen und die Überprüfung dieser Ideen auf dem Arbeitsmarkt. Selbsteinschätzungen werden auf diese Weise immer wieder mit Fremdeinschätzungen ins Verhältnis gesetzt.

Als eine Art Zwischenergebnis erhalten die Anwendenden einen persönlichen Kompass. Hier werden die Ergebnisse des Erarbeitungsprozesses dokumentiert. Der ausgefüllte Kompass bietet Orientierung und einen stabilen Rahmen, um Neukombinationen von Fähigkeiten und Interessen vornehmen zu können. Die Orientierung ergibt sich nicht aus den Hinweisen anderer oder aus inneren Verpflichtungsgefühlen, sondern aus dem im persönlichen TalentKompass sichtbar werdenden Ressourcen der betroffenen Person selbst.

Im nächsten Schritt werden die erhobenen Potenziale neu kombiniert. Hierbei können erste Ideen für die berufliche Zukunft gefunden werden, die dann in Gesprächen innerhalb der beruflichen Wirklichkeit abgeglichen werden. Anschließend wird ein berufliches Ziel genauer beschrieben, mögliche Hürden werden benannt und ausgeräumt und ein Plan zur Umsetzung des Ziels wird entwickelt.

Das Verfahren des TalentKompass NRW grenzt sich von klassischen Verfahren der Kompetenzfeststellung ab, die sich in der Regel auf die exakte Benennung und Bewertung vorhandener Fähigkeiten und Fertigkeiten bzw. Kompetenzen beziehen. Angesichts komplexer beruflicher Veränderungssituationen zielt der TalentKompass-Prozess darauf ab, genau die Informationen hervorzubringen, die zum Fällen von angemessenen Entscheidungen notwendig sind. Dazu gehört die Beantwortung von Fragen wie:

  • Welche Fähigkeiten und Interessen hat jemand?
  • Welche Fähigkeiten wendet jemand gern an?
  • Welche Interessengebiete werden bevorzugt?
  • Welches berufliche Profil für ein angestrebtes Tätigkeitsfeld ergibt sich daraus?

Dauer und Kosten der Anwendung

Das Instrument kann grundsätzlich im Selbststudium durchgearbeitet werden. Die Ergebnisse werden besser, wenn der Prozess professionell begleitet wird. In Einzelgesprächen sollten mindestens sechs bis zehn Beratungsstunden zur Verfügung stehen; in der Arbeit mit Gruppen müssen 16 bis 24 Stunden veranschlagt werden. Die Ordner mit dem TalentKompass NRW werden innerhalb Nordrhein-Westfalens an Menschen in beruflichen Veränderungsprozessen kostenlos abgegeben. Beraterinnen und Berater erhalten den Leitfaden ebenfalls kostenlos. Für alle anderen Anwenderinnen und Anwender stehen die Dokumente im PDF-Format zum kostenlosen Download bereit. Alle Informationen dazu auf www.talentkompass.nrw.de.

Reliabilität und Validität

Zum Verfahren des TalentKompass NRW wurden mehrere Evaluationen durchgeführt (vgl. die Literaturliste unten). Da es sich um einen qualitativen Ansatz und nicht um ein quantitatives Verfahren handelt, könnte die Reliabilität und Validität nur mit einem sehr großen Aufwand erhoben werden. Dies ist bisher nicht geschehen.

Voraussetzung für die Anwendung

Die Anwendung des Verfahrens ist nicht lizensiert. Den Beraterinnen und Kursleitern wird die Teilnahme an einer Qualifizierung empfohlen. Diese wird von der Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung mbH in Bottrop (www.gib.nrw.de) und vom Röwe Institut Aachen (www.talentkompass-akademie.de) angeboten. Auf www.talentkompass.de sind qualifizierte Beraterinnen und Berater gelistet.

Anschlussfähigkeit an die Arbeitsmarktintegration

Immer mehr Jobcenter nutzen den Ansatz, um die Arbeitsmarktintegration von Arbeitssuchenden mit sogenannten Vermittlungshemmnissen zu verbessern. Trainerinnen und Trainer in Transfergesellschaften und in der beruflichen Rehabilitation setzen die Materialien ein und haben die entsprechenden Fortbildungen besucht. Im von NRW initiierten Angebot zur Beratung zur beruflichen Entwicklung ist der TalentKompass fest verankert.

Verbreitung und Resonanz

Der TalentKompass NRW wird im gesamten deutschsprachigen Raum eingesetzt; Schwerpunkt ist Deutschland und in Deutschland Nordrhein-Westfalen. Da die Unterlagen frei zugänglich sind, gibt es keine genauen Nutzungszahlen.

Wir bekommen seit Jahren viele positive Rückmeldungen. Besonders die überarbeitete Neuauflage kommt sehr gut an und wird immer stärker eingesetzt.

 

Literatur

Konzeptioneller Hintergrund / Kompetenzbegriff

Bolles, Richard N. (Originalausgabe 1972; dt. 1999; 2015): Durchstarten zum Traumjob. Das Handbuch für Ein-, Um- und Aufsteiger, Frankfurt am Main/New York: Campus.

Brown, D. (1994): Trait- und Faktortheorie, in: Brown / Brooks (Hrsg.), Karriere-Entwicklung, Stuttgart: Klett-Cotta, S. 17–42.

Röwe, Antje/Völzke, Reinhard (2015): Fähigkeiten und Interessen erkennen und einsetzen. Der TalentKompass NRW in der Praxis. In: W&B – Wirtschaft und Beruf. Zeitschrift für berufliche Bildung, 2-3 2015, S. 98-103.

Völzke, Reinhard (2007): TalentKompass NRW – Fähigkeiten und Interessen erkennen und einsetzen. In: Erpenbeck, J./Rosenstiel, L. von (Hrsg.): Handbuch Kompetenzmessung: Erkennen, verstehen und bewerten von Kompetenzen in der betrieblichen, pädagogischen und psychologischen Praxis. Stuttgart (2. Aufl.), S. 439–458.

Evaluationen

Bührmann, Thorsten (2010): TalentKompass NRW – Individuelle Beschäftigungsfähigkeit stärken. In: Loebe, H. / Severing, E. (Hrsg.): Kompetenzpässe in der betrieblichen Praxis – Mitarbeiterkompetenzen mit Kompetenzpässen sichtbar machen. Bielefeld: W. Bertelsmann, S. 155-167.

Bührmann, Thorsten (2009): Kompetenzbilanzierung in pädagogischen Prozessen – Hintergründe, Verfahren, Potentiale und Grenzen. In: Der pädagogische Blick – Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis in pädagogischen Berufen. 17. Jg., Heft 3/2009, Weinheim: Juventa, S. 132-146.

Steinhausen, Julia (2009): Über den Nutzen von Verfahren zur Kompetenzbilanzierung – Eine qualitative Studie am Beispiel des TalentKompasses NRW. Diplomarbeit. Paderborn.

 

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