Rückenansicht über die Schulter einer Frau, die einen Laptop mit einer Website mit Stellenangeboten auf einem Monitor benutzt und schreibt.

Teilqualifikationen: Große Nachfrage in Online-Jobanzeigen

Eine abgeschlossene Berufsausbildung ist der Königsweg in den deutschen Arbeitsmarkt, aber auch Arbeitskräften mit Teilqualifikationen (TQs) stehen viele Türen offen. Das zeigt eine Auswertung von 860.000 Online-Stellenanzeigen der Bau- und der Gastronomie-Branche im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. In mehr als zwei Dritteln der Jobanzeigen für Fachkräfte sind zwar mehrere Teilqualifikationen, aber kein volles Berufsprofil gefragt. Bei Hilfskräften erwarten Betriebe hingegen mehr Kompetenzen als der Begriff „ungelernt“ vermuten lässt.

Fachkräftemangel und Geringqualifizierung – Zwei Herausforderungen eine Lösung?

Seit Jahren ist der deutsche Arbeitsmarkt von Fachkräfteengpässen in bestimmten Branchen und Regionen geprägt. Die Gleichzeitigkeit von Digitalisierung, Dekarbonisierung und demografischem Wandel stellt die Arbeitgeber:innen hierzulande vor eine zunehmende Herausforderung. Parallel dazu leben in Deutschland mehr als 4,6 Millionen Geringqualifizierte zwischen 25 und 64 Jahren. Menschen also, die über keinen anerkannten Ausbildungs- oder Studienabschluss verfügen. Ein Großteil von ihnen verfügt über umfangreiche Kompetenzen, wie Studien zeigten. Diese Kompetenzen sichtbar zu machen, anzuerkennen und auszubauen ist mehr denn je das Gebot der Stunde. Als Ebene der Kompetenzanerkennung und der anschließenden Qualifizierung bieten sich Teilqualifikationen (TQs) an – so habe ich es bereits an anderer Stelle ausgeführt.

TQs bilden den Mittelweg zwischen Einzelkompetenzen einerseits (z.B. abgebildet in der europäischen Kompetenztaxonomie ESCO) und einem Vollabschluss andererseits (z.B. zu erlangen über eine Externenprüfung bei den Kammern). Pro Ausbildungsberuf handelt es sich bei TQs um 4-7 (bzw. 5-8) Module. Jede TQ umfasst die Kompetenzen, die für die selbständige Arbeit in einem beruflichen Handlungsfeld notwendig sind.  Erwerben lassen sich TQs schrittweise in 2-6 monatigen Teilqualifizierungen (z.B. im Rahmen der MyTQ-Initiative). Auch für die Anerkennung können sie eine zentrale Rolle spielen. So verwies der Präsident des Bundesinstituts für berufliche Bildung (BIBB), Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser, auf der Jubiläumskonferenz „10 Jahre Anerkennungsgesetz“ darauf, dass die teilweise Gleichwertigkeit, die das BQFG vorsieht, in Form von TQs auch für Inländer gelten müsse. Aber treffen Teilqualifikationen überhaupt auf einen Bedarf am Arbeitsmarkt?

Online-Jobanzeigen zeigen hohe Nachfrage nach Teilqualifikationen

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen haben wir 860.000 Online-Jobanzeigen auf die darin nachgefragten Kompetenzen durchsuchen lassen. Für fünf Berufsgruppen aus der Gastro- und Baubranche wurden dabei die Jahre 2018-2021 betrachtet. Die Studie zeigt, dass auf dem Arbeitsmarkt die traditionelle Zweiteilung in ausgelernte Fachkräfte und ungelernte Hilfskräfte keine Gültigkeit mehr hat.

Tabellarische Übersicht der Arbeitsmarktnachfrage nach beruflichen Vollprofilen (alle möglichen TQs), Teilprofilen, und Leerprofilen (keine der möglichen TQs)

Die Forscher:innen der Humboldt-Universität zu Berlin um Prof. Dr. Matthias Ziegler errechneten, dass in mehr als zwei Dritteln der Job-Anzeigen für Fachkräfte zwar mehrere TQs (im Schnitt 59 Prozent der möglichen TQ), aber kein volles Berufsprofil gefragt waren. Gleichzeitig wurde von Hilfskräften mehr erwartet, als der Begriff „ungelernt“ weismacht (im Schnitt 24 Prozent der möglichen TQ). Was vermutlich u.a. auf eine immer stärkere Arbeitsteilung in der Wirtschaft und zunehmende Spezialisierung der Betriebe zurückzuführen ist.

Balkendiagramm zeigt, dass bei Fachkraftstellen der Bau- und Gastrobranche im Schnitt 59 %, bei Hilfskraftstellen im Schnitt 24 % der möglichen Teilqualifikationen in Online-Jobanzeigen gesucht werden.

Im Gastronomieservice reicht oft bereits eine Teilqualifikation

Bei den Analysen zeigte sich, das es deutliche Unterschiede nicht nur zwischen Fachkraftstellen und Hilfskraftstellen sondern auch zwischen den Branchen gab. Arbeitgeber:innen im Tiefbau zum Beispiel suchten nahezu jede TQ gleich häufig mit Ausnahme der Teilqualifikation „Einfache Hochbauarbeiten durchführen“, die kaum nachgefragt wurde. Im Gastronomieservice hingegen dominierte die TQ „Im Service Arbeiten“ maßgeblich die Nachfrage. Die TQs „An der Rezeption arbeiten“ und „Veranstaltungen vorbereiten und im Warenlager arbeiten“ tauchten in den Jobanzeigen gar nicht auf.

Balkendiagramm, dass zeigt, wie hoch die Nachfrage nach den einzelnen Teilqualifikationen in den Bereichen Gastronomieservice und Tiefbau: Straßenarbeiten ist

Für Menschen ohne Berufsabschluss sind Teilqualifikationen damit eine große Chance. Ihre Kompetenzen sind der Schlüssel für eine direkte Beschäftigung. Das zeigte auch unlängst unsere Analyse des Nationalen Bildungspanels (NEPS) zur Wirksamkeit beruflicher Nachqualifizierung. Erhalten sie die Möglichkeit, sich Schritt für Schritt weiterzubilden, wird ein beruflicher Vollabschluss greifbar, der sie für alle Bereiche eines Berufs qualifiziert. Denn am Ende ist eines klar: auch wenn TQs viele Türen am Arbeitsmarkt aufschließen, so wirkt der anerkannte Berufsabschluss wie ein Generalschlüssel, der alle Pforten öffnet.

Over and out.

P.s.: Die methodischen Erkenntnisse der aktuellen Studie – u.a. zur hohen zeitlichen Auflösung von Arbeitsmarktdynamiken am Beispiel von Corona Lockdown und Lockerungen – habe ich in einem eigenen Blogbeitrag ausgeführt.



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